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isolation

sophie reyer
home office also. am abend der tage in isolation war ich oft nachdenklich. nichts beginnt, was nicht auch endet, überlegte ich. alles asche, asche, staub und lehm. ich sah aus dem fenster.  ...

... ein umgestülpter becher war der himmel. sich arbeitend verschenken, dachte ich, das war alles, was die menschen immer getan hatten – und auch jetzt, angesichts der isolation, taten sie es. offenbar dachten sie, dass so der schmerz weg gehen würde. begriffen sie nicht, dass alles dadurch nur noch intensiver werden würden?
“ich mache mir sorgen um meine familie. mir fehlt meine mutter”, schrieb ich an diesem abend an meine freundin mina, die notfall-chirurgin war und immer mehr wusste als ich.
“es ist vergeblich, über das vergehen von vergänglichem zu weinen!” kam es zur antwort.
“aber was ist das unvergängliche? kann man das angreifen wie ein mutter?” wollte ich wissen.
“nein. aber es bringt nichts, dinge zu wollen, die man in moment nicht haben kann!”
da hatte sie recht, meine liebe mina, dachte ich. ich seufzte. mit einem mal fühlte ich mich ein wenig erleichtert.
“aber wir kannten uns schon lang. also: mein ganzes leben eben”, erklärte ich da und musste über mich selbst lachen.
zurück kam ein smiley. das waren die kleinen sonnen meiner regelmäßig getakteten tage vor dem bildschirm, wie ich fand.
“ich sag dir: hier und jetzt ist dein leben. also kümmere dich um deine schildkröte kasimir!” kam es weiter.
wieder hatte sie mich gekriegt, meine mina.
dennoch: ich war müde. finsternis, dachte ich, drinnen, und draußen.
ich sah aus dem fenster und spürte mit einem mal eine sehnsucht nach schlaf. der tag rollte sich aus, streckte sich und gähnte. ich legte mich auf den rücken und tippte im liegen weiter.
“ich fühl mich komisch”, schrieb ich.
“vergangenheit. noch hältst du im denken dein gesicht in alten spiegeln fest, aber das wird sich ändern, irgendwann gehen die zeiten dir leicht von der hand!” kam es weise zur antwort. als asiatin war mina mit der verwobenheit alles gegensätzlichen gut bekannt – und schreiben konnte sie auch noch. “vertraue! zwei gesichter hat alles!
hohes ist niedrig; das helle will stets hin von sich. same der dunkelheit: im scheinen der sonne schon verborgen!“ kam es weiter. und dann: “zitat!”
wieder diese mina mit ihrer poesie, dachte ich, das sah ihr ähnlich. im krankenhaus konnte sie diese seite wohl nicht so wirklich ausleben, also musste ich dafür herhalten.
“ich sehne mich aber nach meinem alten leben zurück!” gab ich zu.
“was ist sehnen?” wollte mina wissen.
ich überlegte.
“das gefühl, dass man nicht da ist. also schon da aber nicht da!”
“also fern?” meinte mina
“ja.”
“komisch, wir menschen!” antwortete sie mir nur. offenbar hatte sie auch keine antwort.
wieder sah ich aus dem zimmer. ein vogel bespickte den vorhang, das licht bewegte sich mit ihm mit. mit einem mal wollte ich ein baum sein, eine heimat haben. es war, als würde meine vergangenheit brennen. ich musste neu beginnen. und ich wusste nicht so wirklich, wie. ich beobachtete das firmament.
die wolken waren plattgedrückte knäuel, tiefhängend. gänzlich schwiegen himmel und erde. kein geräusch. unsichtbar erfuhr der himmel verwandlung, während die zeit dahin zog und ich nichts anderes tun konnte als schauen, schauen. irgendwann schlief ich ein.