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wut und wutausbrüche

beitrag von: Mermaid

Wut Algorithmen II

Telefonat platzt aus heiterem Himmel. Anruferin interessiert sich nicht für mein Befinden. Verlautet vorwurfsvoll transformierte Angst durchs Mobiltelefon. Höre fehlende Solidarität, Krankenhausplatz wegnehmen und auch noch rauchen. Projektion trifft mich am linken Fuß. Der zittert erschüttert. Setze zur Gegenrede an. Anruferin bricht das Gespräch ab, muss noch einkaufen. Kappt Leitung. Wie ein nasser Pudel sitze ich auf dem Schleudersitz. Knalle das Telefon auf den Tisch. Schüttle den Kopf, hole tief Luft und atme durch den Mund aus. Ungesagtes bleibt im Hals stecken. Gegen mein Selbst gerichtete Kettenreaktion wird in Gang gesetzt. Monologisiere. Rücke ungerechtfertigten Anti-Solidaritätsbeitrag ins rechte Licht. Nehme Zigarette aus dem roten Etui. Zünde Zigarette an, inhaliere. Blase blaue Rauchwolken in die Luft. Am Innenohr trommelt lautlos ihre Stimme: Krankenhausplatz wegnehmen, Rauchen… Das Echo hallt in meinem Kopf. Ihr Anruf kriecht unter meine Haut. Zurückrufen? Klarstellen! Nimmt nicht ab. Lande in der Black Box. Verdammt! Blöde Kuh! Das Echo wird lauter. Die Argumente schärfer. Der Monolog aggressiver. Zweite, dritte, vierte Zigarette schnell in Asche verwandelt. Trinke Wasser. Worte im Kopf wiederholen sich in Schleifen. Satzfetzen der Rechtfertigung, Fragen der Gerechtigkeit peitschen mein Gemüt. Sitze vor dem Scherbenhaufen der Ruhe vor dem Anruf. 

review von: Angela Lehner

Besser!

Wir Lesenden verstehen noch nicht alles, was aber gar nicht nötig ist, weil uns die Erzählinstanz sehr nah an sich heranlässt. 
Hier wird von außen ein Konflikt herangetragen, die Unruhestifterin selbst entzieht sich jedoch sogleich wieder. Der/die Protagonist*in bleibt mit sich selbst, unausgesprochenen Gegenargumenten und inneren Monologen zurück, die die Gefühle noch hochkochen lassen und die Wut steigern. 

Besonders gelungen ist, dass wir einerseits die Wut des/der Protagonist*in fühlen - aber diese als Lesende auch so gut nachvollziehen, dass wir selbst sogar ein bisschen wütend werden. Ding! Ding! Ding! Wut-Jackpot! Aufgabe mit Sternchen erfüllt.

Note: Vertraue auf das genaue, unmittelbare Erzählen, Worthülsen wie "Verdammt, blöde Kuh" sind dann gar nicht mehr nötig, das denken wir uns eh schon. 

Sehr lustiges Bild: Der von lauter Projektion erschüttert zitternde linke Fuß.