Mama, red mit mir! Warum fragst du mich nichts, Mama? Schön, dass du da bist! Magst du Kaffee? Wie geht’s dir denn? Das fragt man doch, wenn man Besuch bekommt. Du machst die Tür auf, und schon geht es los. Heut seh ich überhaupt nichts. Gestern war es besser. Aber nur in der Früh. Heut seh ich überhaupt nichts mehr, es wird rasant schlechter. Jeden Tag wird es schlechter. Wenn das so weitergeht, bin ich in drei Monaten blind! Tausend Mal hab ich dir zugehört. Warum drehst du das Licht nicht auf, wenn du nichts siehst? Warum putzt du die Brille nicht, wenn sie verschmiert ist? Warum hörst du mir nicht zu, Herrgott noch einmal! Hätt ich gesagt, was dein ältester Sohn bei deinem Geburtstagsessen zu dir gesagt hat, du hättest mir die Augen ausgekratzt. Dafür, dass du nichts siehst, hast du schön gegessen, hat er gesagt. Mit einem langen Blick auf deinen leeren Teller und das säuberlich parallel platzierte Besteck hat er das gesagt. Und du, du hast nichts gesagt. Weil es dein ältester Sohn ist, der mit zwei Jahren schon der Große sein musste, weil noch vier Geschwister gekommen sind und keine Zeit mehr war für ihn. Und weil die Lehrerin ihn nicht gewollt hat und seine Frau mit einem anderen davon ist, mitsamt den Kindern. Das verkraftet er bis heute nicht, sagst du. Und darum darf er alles sagen, ohne dass du ihm die Augen auskratzt. Geh doch zu ihm, ruf ihn doch an! Lass mich in Ruh!
review von: Angela Lehner
Diesem Text täte Reduktion gut.
Am stärksten ist sie tatsächlich ganz zu Beginn bei der stummen Frage der Erzählinstanz "Warum fragst du mich nichts, Mama?"
Nicht zu viel erzählen, in nüchternen Beschreibungen und Dialog das Potential dieser Leerstelle erkunden - der Leerstelle des Desinteresses der eigenen Mutter; dabei kann allmählich die Wut wachsen. Am Ende muss sie auch nicht ausbrechen.
- Zuviel erklären ist unnötig (Backstory Bruder), bleibe bei der Beziehung zwischen Erzähler*in und Elternteil.
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