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wut und wutausbrüche

beitrag von: bihamme19

Ach!

Um 14 Uhr startet das Meeting. Ich bin wie immer pünktlich. Finde es ungehörig, jemandem die Zeit zu stehlen.  Sylvie, Hilda und ich warten. 12 Minuten. Dann erscheint Marlen. In der Vorwoche waren es lächerliche 10 Minuten. Heute in Weiß gekleidet, ein pinker Schal flattert um ihren Hals. „Barbie“, denke ich. Ohne ein Wort der Entschuldigung setzt sie sich mit einem „Ach!“. Sie setzt sich immer mit einem „Ach!“. So viel sei zu tun, sie wisse nicht, wo ihr der Kopf stehe. "Wir arbeiten auch und halten uns sogar an vereinbarte Termine." Ich spreche den Satz nicht aus.  Mittlerweile ist es 14 Uhr 20. Hilda stoppt Marlens Redeschwall diplomatisch. Sie, die als Einzige in der Runde einen 12-Stunden-Arbeitstag hat, übernimmt sanft und kompetent die Gesprächsführung. Ich kratze mit den Zeigefingern an den Daumen. Marlen starrt in den Laptop, ihr künstliches Lächeln im Gesicht. Ich sitze neben ihr, sehe auf ihren Bildschirm. Zalando-Die Must-haves der Saison. Welche Unverfrorenheit! Plötzlich wirft sie einen Satz ein. „Das könnte ja Barbara machen.“ Versucht sie wirklich jetzt auch noch, ihre Arbeit an mich zu delegieren? Ich japse kurz, krampfhaft um Contenance bemüht. „Ich denke, dafür bist du zuständig." Sie schluckt die Retourkutsche, fällt Hilda ins Wort und wischt Sylvies Beitrag vom Tisch. Ich spüre, wie die Hitze in mir hochkriecht, springe auf und öffne das Fenster. 

review von: Angela Lehner

Das innere, stille Beleidigen einer anderen Person - ein interessanter Zugang, weil er der Erzählerin zugesteht, praktisch alles zu sagen (bzw. nicht zu sagen). Deswegen geben diese internen Gedanken aber immer auch eine Charakterisierung der Erzählerin selbst ab. Dass sie im abwertenden Gefühl der anderen Figur auch auf misogyne Denkmuster (Barbie) zurückgreift, ist durchaus realistisch, persönlichere Beobachtungen wie “sie sagt immer Ach!” erfassen das Verhältnis der Figuren zueinander ab um ein Vielfaches deutlicher - und auch die Wut wird in der Beobachtung diesen “Ach!”’s schon früh spürbar.

Auch gut gemacht: Die Überhöhung einer dritten Figur (Hilda), um die Wut über Marlens Schlechtheit noch deutlicher zu kontrastieren.

Woran du bei deinen Texten noch feilen könntest: Den richtigen Moment zu finden, an dem eine Erzählung (egal welcher Länge) endet. Du hast die Tendenz, manchmal noch eine erzählerische Kurve bzw. eine Art Abschluss draufzupacken, wo der Text eigentlich etwas Offenheit vertragen könnte. Achte doch demnächst beim Lesen von Texten aller Art besonders darauf, an welchem Punkt sie aufhören und welche Funktion das haben könnte.