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wut und wutausbrüche

beitrag von: schreiberin

Pünktlich

Ich betrachte mich zufrieden im Spiegel, schlüpf in die Pumps und schau mich unschlüssig um. Es ist noch Zeit, also setz ich mich an den Küchentisch, blättere in der Zeitung und beginne zu lesen. Ein Blick auf die Küchenuhr, ich spring auf, reiß die Handtasche vom Sessel und schon bin ich draußen bei der Tür. 
Nur gut, dass die Bekannte, der ich versprochen hab, dass ich sie mitnehm zur Vernissage, immer zu spät ist. Als ich ins Auto steig, schau ich kurz zurück zum Haus. Das Schlafzimmerfenster ist offen. Verdammt! Ich schlag die Autotür zu. Vor der Haustür fällt mir der Schlüssel aus der Hand. Endlich bin ich im Haus. Der Luftzug hat die Post von dem kleinen Tisch geweht, der beim Fenster steht. Ich bück mich, und als ich mich wieder aufricht, erwisch ich den Fensterflügel. Ich schrei auf vor Schmerz, greif mir an den Kopf. Ich bin so ein Idiot! Da seh ich die rote Spur auf der weißen Bluse. Ich drück die Handfläche gegen die Stirn und lauf ins Bad. Als ich das Blut abwisch, seh ich im Spiegel, dass da nur ein kleines Loch ist. Ich tupf ein bisschen Jod drauf. Die Haare zieh ich mir so in die Stirn, dass man das Pflaster nicht sieht. Ich tausche die Bluse gegen einen Pullover, und schon bin ich wieder beim Auto. 
Als ich bei Martina ankomm, muss ich dreimal läuten, und mit jedem Läuten steigt mein Zorn. Ich stress mich und die blöde… 
Martina macht in Jogginghosen auf. "Ich hab gedacht, du hast auf mich vergessen", sagt sie. "Ich weiß ja, dass du gern pünktlich bist."

review von: Angela Lehner

Es gibt ja die Annahme, dass viele Texte bereits in ihrem ersten Satz, alles weitere andeuten. Bei diesem Beitrag trifft das tatsächlich zu. Wir ahnen schon hier, dass diese Protagonistin die Veranstaltung nie erreichen wird.

Die Wut (auf die Freundin) ist momentan in diesem Text nur behauptet. Wir erleben eine von Unsicherheit und Ängsten getriebene Figur. Sie ist den kleinen Unglücken, die Schlag auf Schlag passieren, ausgeliefert. Vor allem ist sie aber sich selbst ausgeliefert. Tatsächliche  Wut könnte in diesem Text bspw. entstehen, wenn die Protagonistin beginnt, sich über sich selbst und ihre nicht vorhandenen Coping-Strategien zu ärgern.

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Bzgl. deines anderen Textes “Red mit mir”: Dass sich nach der dritten Überarbeitung Frustration einstellt, kann ich gut nachvollziehen.

Ich möchte dich aber trotzdem noch einmal ermutigen, dich mit diesem Text etwas mehr zu trauen. Version 2 war, wie gesagt, schon sehr nah dran, und ich glaube, dir könnte mit etwas Durchhaltevermögen auch eine interessante Kurzgeschichte gelingen, die es sich, z. B. bei einem Wettbewerb, einzureichen lohnt.
eva schreiber sagt
21.10.2024 18:50
Danke! Und ja, ich schreib die Wut noch einmal um und versuch, deine Hinweise umzusetzen. Harte Arbeit, aber ich hab beschlossen, nicht zu kneifen.