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wut und wutausbrüche

beitrag von: tschunknail

Es wär noch Platz in der vierten Reihe frei

Der Film fängt an, Göbbels labt sich an irgendeiner Untergebenen. Wieder wackelt mein Sitz. Betont geräuschvoll ziehe ich Luft durch die Nase, drehe dabei den Kopf keine 90 Grad, das Wackeln stoppt, mein Hintermann hat verstanden.
Doch da, wieder, mein Körper wippt leicht durch die Erschütterung des Kinosessels.
Heast, hör auf, keife ich, drehe mich dabei für einen Moment nach hinten.
Hör auf mit was? Er sieht aus wie ein junger Maxim Biller, nur ungustiöser.
Mir deppert deine Knie in den Rücken zu rammen, zische ich. 
Setz dich halt woanders hin, mault er.
Göbbels diskutiert irgendwas mit Hitler. In mir brodelt es, ich versuche, mich auf die Szene zu konzentrieren, doch wieder rüttelt es an meinem Sitz.
Ich springe auf, schleudere die Serviette, die ich in meiner Faust malträtiert habe dem Glatzkopf hin. Sie fliegt langsam, trifft nicht, lächerlich. Du Wixer, zische ich dabei durch die Zähne, setzte mich eine Reihe weiter vor. Ich balle die Fäuste, dehne meine Knöchel, sie knacken. Göbbels unterhält sich mit irgendwelchen Schergen während ich mir vorstelle, wie ich mich hinter Maxim setze, ihm während einer dunklen Szene eine kurze harte Kopfnuss verpasse; wie ich nach dem Film aufsteh, zu ihm hingeh und mit der Faust in seinen Magen strudle; ihm mit der flachen Hand seine überdimensionale Drahtgestellbrille vom Gesicht wische. Noch vor dem Abspann stehe ich fest entschlossen auf, jeder Muskel auf Spannung. Ich dreh mich langsam um – doch sein Sitz ist leer.

review von: Angela Lehner

Was zunächst wirkt, wie ein einfacher Text, bietet bei näherem Hinsehen eine interessante Multiperspektivität hinsichtlich des Themas “Wut”. Der Erzähler wird selbst zum Wüterich, seine Wut steigert sich allerdings nur in dem Maße, wie er zunehmend zum Opfer seines Hintermannes wird. Schlussendlich verlässt er sogar seinen Sitzplatz. Die versuchte Machtdemonstration wird zu Demütigung, als die drohend geschleuderte Serviette kümmerlich zu Boden sinkt. Lächerlich fühlt sich der Protagonist in seiner Wut auch angesichts der auf der Leinwand mordenden und quälenden Hitlers und Goebbels. 

Ein zutiefst demütigender Text. Wirklich gut gemacht. Hier liegt seine Stärke. Den Entschluss, am Ende doch nochmal aufzustehen und den Antagonist verprügeln zu wollen, braucht es gar nicht mehr.