Wie ein Stoß fehlfarbiger Polaroids kommt sie mir manchmal vor, die Realität. Nur nicht aufeinandergestapelt. Eher so hingeworfen, als ob sie ein unsichtbarer Card-Dealer in bester Texas Hold‘em Manier gleich wild mischen wird, damit jeder Spieler wieder die gleichen Chancen bekommt. Shuffeln im Washing-Style. Mit der unschuldigen Lust eines Kleinkindes Entropie erzeugen, ohne den geringsten Hauch einer Ahnung von der Existenz der Chaostheorie. Alles muss sich so ereignen, wie es prophezeit wurde. Vom Wetterbericht, den Wirtschaftsexperten, den Politologen und den biblischen Propheten – bis ein kleiner Schmetterling auf Kiribati mir nichts, dir nichts über die Datumsgrenze nach gestern fliegt.
Jedes einzelne Foto ein verfärbter Zeuge des einst lebendigen Augenblicks, gefasst in einem weißen Rahmen, fast wie eine Parte, die an einen geliebten, aber leider verblichenen Moment erinnert. Damals hat es doch geheißen, es würde nie mehr und alle waren sich einig, dass ab dann jeder für immer… Ja, ich erinnere mich genau, es sollte doch noch in diesem Jahr – aber wir sind jetzt schon im Oktober. Wait. Just wait for it!
Gott sei Lob und Dank kann ich mir meine Wehmut über das scheinbar ausgebliebene Vergangene mit Veo3 hinweg synthetisieren. Fullpixel Splendor in True Colors. Ich prophezeie mir meine Zukunft einfach selbst. Gut, die aus dem Nichts gerenderten Sequenzen schmecken immer ein wenig steril mit leicht bitterem Abgang wie damals E123. Das schlimme Rot. Wortwörtliches Redpilling mit erbgutschädigender Nebenwirkung. Heute matrixkonform ohnehin nur noch in Likör und Kaviar zugelassen. Zu spät für einen Blendax Antibelag-Färbetest. Man kann das Böse wohl nur sehen, wenn man es zuvor sichtbar macht.
Wenn ich in stillen Momenten die faltenlose Zukunft aus dem Blickwinkel meines inneren Kindes erinnere, schöpfe ich Hoffnung. Es war einfach alles einfach. Wann begann dieser nicht enden wollende Umweg ins Jetzt? Dorthin, wo ich als Kind lebte. Immer jetzt. Mein Vater hatte mir prophezeit: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Er sprach von seiner Wirklichkeit und starb in dem Jahr, als Facebook, Twitter und YouTube ihren Durchbruch erlebten.
review von: alfred goubran
Spannender Text. Die Lebenswelt des Protagonisten ist anschaulich und überzeugend geschildert, der Erzähler glaubwürdig. Empfinde das Geschriebene jedoch nicht als abgeschlossenen Text, sondern eher als Textprobe aus einer längeren Arbeit.