alfred goubran
Der falsche Prophet verkündet - falsche prophezeiungen

alfred goubran (aut) Der falsche Prophet verkündet

beitrag von: FFFF

Der falsche Prophet verkündet

Ich war jung
und glaubte an Verträge, an Vernunft,
an die UNO,
an das Gute im Menschen
und an den Fortschritt mit freundlichem Gesicht.

Ich schrieb:
Schwerter zu Pflugscharen,
Raketen zu Windrädern,
Panzer zu Peacebots.
Ich hielt Workshops,
schickte Petitionen,
glaubte Worte verändern die Welt.

Dann kam das Leben.
Es gab Friedensnobelpreise,
die Kriege kamen wieder und blieben,
nur die Überschriften wechselten.
Die Sieger wechselten die Fahnen,
die Verlierer ihre Namen.

Ich blieb der falsche Prophet,
der an das Richtige glaubte.

Ich sagte:
„Friede wird möglich sein,
wenn wir die Angst verlernen.“
Sie lachten.
Ich sagte:
„Nachhaltigkeit beginnt im Herzen.“
Sie zitierten den Ölpreis.

Ich irrte mich oft,
ich bin falsch im Richtigen
Sie richtig im Zynismus.

Ich irrte mich in der Politik,
in den Menschen,
im Timing –
doch nie im Traum.

Die falschen Propheten
sind die letzten Optimisten,
die trotzdem schreiben,
auch wenn gerade niemand liest.

Vielleicht braucht die Welt
nicht mehr Wahrheit,
sondern mehr Mut,
solche Irren zu lieben.

Ich sehe junge Gesichter,
die reden über Klima
wie wir über Krieg:
mit Hoffnung in der Kehle
und Überforderung im Blick.

Ich sehe Drohnen,
die über Kindergärten kreisen,
und Kinder,
die Friedenstauben malen –
auf Tablets, nicht auf Mauern.

Ich denke:
Vielleicht bin ich
der wahre falsche Prophet,
weil ich trotz allem
weiter hoffe.

Ich, der falsche Prophet,
bleibe selbsterfüllend bei meiner Botschaft:
Dass Liebe sich rechnet,
dass Güte ansteckend ist,
dass kein Algorithmus
den Atem der Menschlichkeit
errechnen kann.

Ich war jung
und bin jetzt älter –
doch der Traum
hat Falten nur bekommen,
und ein paar resistente Narben.

Und solange ich schreibe,
solange wer zuhört,
bleibt Hoffnung
nicht falsch,
nur verfrüht oder zu spät?

review von: alfred goubran

Ihr Text, den ich mir auch als Liedtext vorstellen könnte, hat mich sehr berührt; ein Rückblick, Versuch eines Ré­su­més, das, trotz der Enttäuschungen, nicht in Bitterkeit mündet. Da gibt sich einer nicht geschlagen – und das ist gut so. 
Meine Lieblingsstelle: Die Sieger wechselten die Fahnen,/die Verlierer ihre Namen.
10. Strophe: wie wir über Krieg - vielleicht ein „damals“ einfügen?; mit Hoffnung in der Kehle
– „Kehle“ finde ich nicht so gelungen – ev. „Stimme“, „Augen“ …?
Vorletzte Strophe: doch der Traum/hat Falten nur bekommen, – „Traum“ und „Falten“ paßt für mich nicht; /und ein paar resistente Narben. – vielleicht: „…Narben, die bleiben“?

Ich erkenne in dem Text auch keinen „falschen Propheten“, sondern einen Idealisten. Obwohl es oft geschieht, daß die anderen einen Menschen, der an Ideale glaubt als „falschen Propheten“ bezeichnen.
Es gibt den oft zitierten Satz Adornos vom „richtigen Leben im Falschen“, der auch in diesem Text anklingt. Ich persönlich bin überzeugt, daß es kein „richtiges Leben“ gibt („ein richtiges Leben ist ein gerichtetes Leben“) und halte Adornos Satz für bedenklich. 
Es wäre auch denkbar, daß das Gegenteil von „falsch“ nicht „richtig“ sondern „wahr“ ist. Und vielleicht wäre dann auch „richtig“ das Gegenteil von „wahr“ … aber das ist eine andere Geschichte.
Danke für den Text!