beitrag von: TseTse
Weihnacht mit Astern
weihnachten mit Gottfried Benn
Weihnacht
Weihnacht – quelende Tage,
alte Beschwörung, Baum,
schon zehn Kilo mehr auf der Waage,
und „Stille Nacht“ scheppert im Raum.
Noch einmal das goldne Lametta,
die Kugeln, die Kerzen, der Duft,
doch längst schon läuft die Vendetta
und die Katze jappst nur nach Luft.
Noch einmal das Ersehnte,
das ultimative Geschenk!
Doch maximal jeweils das zehnte
bringt Wunschglück, der Rest nur Gezänk.
Schon wieder nur Socken, du Pute!
Hast du’s etwa besser gemacht?
Sie holen ’ne Pulle, ’ne gute
und trinken Weih und Nacht
review von: michael ziegelwagner
Warum "quelend"? Grübelnd schlägt man das Original nach, sieht, dass dort "schwälend" steht, und freut sich über den Witz auf Kosten von Gottfried Benns Rechtschreibschwäche. Ob hier der weltweit erste Fall vorliegt, in dem ein einzelner Buchstabe parodiert wird? Jedenfalls ein sehr guter Auftakt!
"Alte Beschwörung, Bann" heißt es dann weiter, in der Parodie wird daraus: "Alte Beschwörung, Baum". Drängt sich hier nicht eigentlich "Bescherung" auf? Mir wenigstens? Die "Vendetta" reimt zwar auf "Lametta", kommt aber etwas unvermittelt. Dafür wird die Waage, bei Benn von göttlicher Hochsymbolik und Gedankentiefe, wunderschön profan ins Badezimmer zurückgeholt und misst dort die Gewichtszunahme in der Keks- und Gänsebratenzeit. So prosaisch kann Lyrik sein.
Rhythmisch sind die Strophen 1 und 2 genau dem Vorbild nachgebaut, gegen Ende driftet es auseinander: Bei Benn bleibt es schlank und schlicht, im Weihnachtsgedicht werden die Zeilen länger. Da könnte man noch verknappen, um den "Astern" gerecht zu werden. Zur alkoholischen Pointe hingegen wird man durch Benns Gedichtschluss ("und trinken Fahrt und Nacht") fast gezwungen. Dank & Prost!
Ich habe laut gelacht! Vielen Dank für diese schamlose Parodie!
Die Review ist auch super- an dieser Stelle mal ein großer Dank an die Genauigkeit und Weitsicht von Michael Ziegelwagner!