beitrag von: jhruebel
Der Hörer. Eine Zumutung
weihnachten mit thomas bernhard
Es ist mir immer als furchtbar traurig erschienen, dass jede Familie und auch jeder alleinstehende Greis einen toten Baum in seinem Wohnzimmer aufstellt, ihn mit sterilen blinkenden Lichtern behängt und dann erwartet, in eine feierliche Stimmung zu geraten. Die natürliche Konsequenz ist die größte Zerrüttung des Gemütes, Verzweiflung und Einsamkeit.
Auch die Beschenkung ist eine Plage. Mit dem Näherrücken dieses dummen Festes stürzen sich alle Bürger meiner Provinzstadt in die Läden und kaufen die dümmsten und fantasielosesten Geschenke, über die sie sich nicht einmal selbst freuen würden. Das Schenken macht aus fantasielosen Gaben einen Fluch, da man die Dinge nicht einfach ablehnen oder wegschmeißen kann. Man wird genötigt, etwas in Besitz zu nehmen, von dessen abgrundtiefer Hässlichkeit und Nutzlosigkeit man augenblicklich überzeugt ist.
Die stumpfesten und idiotischsten Menschen allerdings gehen an Weihnachten vor dem Zwangsritual des Schenkens in die Kirche, um sich von einem in seinen Routinen resignierten Kirchenmann einen biblischen Text vorlesen zu lassen. Auch ich musste als Kind diesem Ritual beiwohnen, und die sogenannte Weihnachtsgeschichte ist mir von Jahr zu Jahr unlogischer und geistloser erschienen. Der einzige Grund, warum ich mich nicht standhaft dem Kirchgang verweigert habe, ist die Orgel gewesen. Die Präludien und Toccaten, die alljährlich von der Empore zu mir herab rauschten, waren meine Zuflucht vor dem Starrsinn und der Verblödung des Weihnachtenfeierns.
Im einundsiebziger Jahr muss es gewesen sein, dass nun nicht mehr der alte, zwar etwas menschenfeindliche, aber unter Organisten meiner Gegend doch angesehene Kantor nicht mehr an der Orgel saß und seine immergleichen mir vertrauten und geliebten Bach’schen Orgelwerke spielte sondern ein neuer, junger Mensch auftauchte. Es lagen Gesangszettel aus an jedem Platz mit mir völlig unbekannten Liedern auf infantile Texte, wie mir beim ersten Blick sofort aufgefallen war. Von diesem Augenblick an war mir klar, dass dies das letzte Weihnachtsfest sei, das ich in der Kirche verbringen würde. Die Dümmlichkeit der Musik übertraf diejenige des Textes noch und ich gefror in der Kirchenbank und verfiel in tiefste Verzweiflung.
review von: michael ziegelwagner
Der dritte Beitrag, der sich an die Vorgaben hält – dafür ein Mitarbeitsplus!
Die Superlative sitzen ("größte Zerrüttung", "die dümmsten und fantasielosesten Geschenke"), die Sätze könnten, vor allem am Anfang des Textes, etwas länger sein ("Auch die Beschenkung ist eine Plage" kommt mir für Bernhard'sche Verhältnisse geradezu wortkarg vor). Wenn der Text erst einmal in Schwung kommt, scheint er mir näher ans Vorbild zu rücken: vermutlich, weil die allgemeine Weihnachtsablehnung umschlägt in eine konkret beschriebene Situation. Mein Lieblingssatz: "Die sogenannte Weihnachtsgeschichte ist mir von Jahr zu Jahr unlogischer und geistloser erschienen."
Dass "aus Gaben ein Fluch" wird, kommt mir nicht stimmig vor. Das Schenken wäre der Fluch, oder? Bzw.: die Gaben verflucht. Kleine Ungenauigkeit: "nach in die Kirche"/"noch in die Kirche". Eine falsche Doppelung: "nicht mehr der alte, zwar etwas menschenfeindliche (…) nicht mehr an der Orgel saß".
Würde Bernhard schreiben: "Im einundsiebziger Jahr?" Würde Bernhard sagen: "in meiner Provinzstadt"? Mit besitzanzeigendem Fürwort, das doch auf Identifikation deutet? Statt zu schreiben "Salzburg / Wien, das immer schon provinziell gewesen ist" etc.? (Jetzt können Sie mir vermutlich für beide Zweifelsfälle eindeutige Textzitate liefern, und ich bin blamiert. - Wie ich mir überhaupt bei diesem Text recht unsicher bin, die Parodieleistung zu bewerten. Es mag daran liegen, dass der späte Bernhard selbst von einer Bernhard-Parodie schwer zu unterscheiden war.)
Ein schön auswegloser Abschluss: Die Tradition ist scheußlich, der Fortschritt (neuer Organist!) ist genauso scheußlich. Es ist alles sinnlos, wenn man an Weihnachten denkt.
hallo!
eigentlich möchte ich jan den vortritt lassen ... aber ich befürchte er wird sich bedanken ... daher mal schnell ein alternativvorschlag nach guter harveyscher manier:
absolut großartigst!
also der text
grüße harvey