michael ziegelwagner
Weihnacht - weihnachten mit de sade

michael ziegelwagner (aut) Weihnacht

beitrag von: Ulf

Weihnacht

weihnachten mit Rainer Maria Rilke

Weihnacht

Los, es ist Zeit. Die Kirche wartet nicht.
Leg deine Klamotten nicht auf den Boden,
und auf dem Loden ist, du mieser Wicht, 

noch immer dieser Riesenfleck, na toll! 
Wie denn gedenkt der gnädige Herr nun den
zu überreden, da jetzt flott rauszugeh’n? 
Oh Gott, jetzt ist auch noch die Hose voll. 

Womit hab ich das alles nur verdient.
Ich hoff’ der Krampus kommt gleich, dich zu holen,
und vorher soll den Arsch er dir versohlen
mit seiner Rute, wie es sich geziemt.
Und du bleib mir für alle Zeit gestohlen.

review von: michael ziegelwagner

Ein kleiner Betonungs-Wackler bei "KlAmottEn", vielleicht hebungsmäßig besser: "leg deine Kleider nicht auf jenen Boden" oder "leg dein Gewand nicht auf den nassen Boden". Der "Loden"-Binnenreim ist eine sauber nachgebildete Fleißarbeit (Original: "-uhren/Fluren"), sehr schön! Bei Rilke ist der erste Dreizeiler klar abgetrennt, er könnte auch als eigenes Gedicht stehen. Hier sind erste und zweite Strophe strukturell verbunden, dadurch kommt Tempo rein, alles wirkt weniger epigrammatisch, mehr wie ein Action-Gedicht nach Art Friedrich Schillers. 
Das "flott" würde ich ebenfalls aus Rhythmusgründen streichen oder durch einen Zweisilber ersetzen ("schnellstens", "schleunigst"). Wo bei Rilke der HErr die Süße in den schweren Wein jagen soll, geht es in der Parodie durchfallartig in die Hose: alljährliche Erfahrung des herbstlichen Sturm-Heurigens – im Original wird der Konsum angedeutet, in der Parodie das Ergebnis. 
Das Ende ist konkret, holt die Gedankenlyrik und das edle Pathos Rilkes zurück auf den Boden der Arschsachen, schickt das Vis-à-vis zum Teufel (Krampus) und holt die versohlende Rute aus der Ecke – kleine Reminiszenz an den Haupt-Paten dieses Kurses, den Marquis. 
Wenn der Text kurz durch die rhythmische Waschmaschine gejagt wird, vergebe ich 8,5 von 10 Weintrauben!

kommentare

Ulf Kiemburg-Nurser
05.12.2025 18:19

Dies Gedicht beschreibt den Versuch meiner alleinerziehenden Nachbarin im letzten Jahr, mit ihrem damals Siebenjährigen rechtzeitig zur Christmette zu kommen. Jedes Jahr sag ich ihr, sie soll's lassen mit der Kirche, aber nein, "einmal im Jahr muss es sein", weil es "so feierlich" sei. Vorher macht sie immer Bockwurst mit süßem Senf, schon der Geruch grenzt an Körperverletzung ... Ihr Sohn, Tonley, schmiert sich den Senf gerne mal aufs Jankerl, denn er hat einfach keinen Bock -- weder auf geplatzte Würstchen, noch auf die Kirche. Mutter ist überfordert, brüllt rum, Sohn ist traumatisiert und macht in die Hose -- schöne Bescherung.

Weniger schön: Kleider und Gewand passen nicht ganz so gut zu einem Siebenjährigen und müssen durch andere Sachen ersetzt werden, nämlich durch Sachen. Rythmus hakt, ja. Dem werd ich Beine machen ... um mal mit der Mutter des armen Wichts zu sprechen.

michael ziegelwagner
05.12.2025 20:48

Danke für die Hintergrunderläuterungserklärung, Jugendamt ist informiert und die neue Textfassung habe ich schon gesehen - sauber!

Ulf Kiemburg-Nurser
05.12.2025 21:12

"Hintergrunderläuterungserklärung" würde als Zehnsilber auch in den Zwölfzeiler passen ... mal sehen ...

michael ziegelwagner
06.12.2025 14:05

Sie können's ja anderswo verwenden, wenn Sie die Pleonasmen nicht scheuen.

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