michael ziegelwagner
Das Ding in der Krippe - weihnachten mit de sade

michael ziegelwagner (aut) Das Ding in der Krippe

beitrag von: fabsnavarro

Das Ding in der Krippe

weihnachten mit H.P. Lovecraft

Unter den abendländischen Gebräuchen und Traditionen gibt es keine einzige, die es vermag, sich mit der Prominenz und dem Pathos des Weihnachtsfestes zu messen. Obgleich es sich bei weiteren Feiertagen, die in christlich geprägten Gesellschaften alljährlich praktiziert werden, ebenfalls um eine groteske Kollektion heidnischer Rituale handelt, nimmt das sogenannte heilige Fest eine beinahe schon monolithische Position unter ihnen ein. Kein Osterhase, kein Maibaum kann es nachweislich mit den grauenvollen Wucherungen dieses Spektakels aufnehmen, das mir mit seinen außerweltlichen Straßenbeleuchtungen und sinister grinsenden Lebkuchenfetischen pünktlich zur Adventszeit einen Schauer über den Leib jagt.
Selbst in heute, im allgegenwärtigen Technikzeitalter, das manche Gelehrte, durchaus zurecht, als ein digital-feudales beschreiben, nimmt das Aufstellen von Tannenbäumen und deren Verzierung mit alptraumhaftem Behang geradezu fanatsische Ausmaße an.
Durchaus war es in meinem Leben nicht immer so, dass die Lichtspiele des irisierenden Lamettas und die betörenden Gerüche von Zimt und Punsch mich in einen derart angsterfüllten Geisteszustand versetzten. Allein beim Niederschreiben dieser Sinneseindrücke spüre ich eine schwelende Angst, die mir den Atem schwerer werden lässt. Mir kommt es vor, als spräche ich von einer anderen Person, wenn ich daran denke, mit wie viel Freude ich als kleiner Bub von nicht einmal sieben Jahren dem dämonischen Zeremoniell entgenfieberte. 
Der Auslöser, welcher mich bis heute davon abhält, dem 24. Dezember in präorgiastischer Erwartung zu harren, ist im Jahre 2023 zu verorten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität zu Wien inne. Ziel unserer Untersuchungen war die Erforschung einer bis dato unbekannten Gemeinde namens St. Grammel, die durch Zufall im Jahr zuvor von zwei Niederländischen Wanderinnen in einem entlegenen Winkel in Kärnten entdeckt worden war. Eine Sensation, die jedoch die Mehrheit der Alpenrepublik gleichgültig mit Schultern zucken ließ.
Seit seiner Entdeckung hatte es immer wieder Forschungsgruppen gegeben, die zu ergründen suchten, wie sich ein ganzes Dorf für Jahrhunderte der restlichen Öffentlichkeit hatte entziehen können. Landeshauptmann Hans Peter Liebhandwerk verlangte eine rasche Aufklärung, da ihm selbstredend aus fiskalpolitischer Sicht bereits ein immenses Steuerversäumnis vorschwebte, das seinen defizitären Haushalt zu sanieren vermochte. Ich jedoch war interessiert an den Einheimischen von St. Grammel. Mein Interesse galt den archaischen Sitten, die sich zweifelsohne parallel zum Rest des Landes im Rahmen der bis heute ungeklärten Separierung entwickelt hatte. Welche Bräuche hatten sich dort im Wald gebildet? Vielleicht zeigten sich sogar Parallelen zu unseren Lebensgewohnheiten, aus denen sich weitere Vermutungen über die apriorischen Tendenzen des menschlichen Zusammenlebens ableiten ließen.
Mit meinem heutigen Wissen hätte ich alles versucht, meiner Neugier zu widerstehen. Der dort erlebte Schrecken gebietet es mir, auch zum Schutz der Lesenden, meine Erlebnisse in St. Grammel lediglich in Form von düsteren Andeutungen zu niederzuschreiben. Denn keine Menschenseele sollte es jemals wieder erblicken müssen: das abscheuliche Sternenezücht, das einst mit einem Kometen über Betlehem seinen Weg nach Kärnten fand. Dieser kosmische Schrecken, das Ding in der Krippe. Ich fürchte, ein detailreicher Bericht über die kakophonen Gesänge der gotteslästerlichen Priester, die in ihrer roten Tracht und Perchtenmasken diesem Wesen huldigten, würden mir nicht nur den Vorwurf einer schlichten Phantasterei einhandeln, sondern weitere Menschen dazu antreiben, sich in dieser dämonischen Gemeinde umzusehen, um mich Lügen zu strafen und sich selbst ins Verderben bringen. Deshalb habe ich in den letzten Monaten alles darangesetzt, jede Information zu St. Grammel zu vernichten. Auch diese Schrift möchte ich nach der Lektüre in den Flammen wissen. 

review von: michael ziegelwagner

"Berge des Wahnsinns" auf Kärntner Art? Am Anfang vermeint man eine Polemik gegen das Weihnachtsfest im Allgemeinen zu lesen, wie wir sie kürzlich auch in der Bernhard-Parodie hatten, aber mit der Rückblende auf das Kindheits-Ich des Erzählers und der genauen Datierung der Herkunft dieser Weihnachtsfurcht und Weihnachtsabneigung nimmt die Geschichte eine Wende. 
Das überraschend aufgetauchte Dorf, das den Landeshauptmann zur Besteuerungsgier anstachelt: eine Zwischenpointe wie bei Herzmanovsky-Orlando („Der zweite Donnerstag von Scheibbs“). Danach wird der Ton aber sofort wieder ernst und bleibt es. 
Einige stilistische Fragen: Können Fetische grinsen? "...welcher mich bis heute davon abhält, dem 24. Dezember in präorgiastischer Erwartung zu harren" – "harren" steht im Genitiv. Kleinere Vertipper: "Selbst in heute", "fanatsische", "zwei Niederländische Wanderinnen", "zu niederzuschreiben", "Sternenezücht". Ganz klar wird mir der Ausgang der Geschichte nicht: Ist es der Stern von Bethlehem, der in der Krippe gelandet ist? Wie hat es die Krippe nach Kärnten geschafft? Ich fürchte, die Andeutungen sind mir zu dunkel, obwohl die Satzschlangen, der (para?)wissenschaftliche Jargon schon sachlich-kalten Grusel erzeugen.

kommentare

Bertram Könighofer
07.12.2025 16:28

Gefällt diesem Liebhaber weirder Fiktionen hier gut, finde der Text macht vieles richtig – wie z.B. seine Grundeinstellung (von wegen „Unwissenheit ist eine Gnade“ und so)… gelungen fand ich auch, wie die berüchtigte Miskatonic University durch die Uni in Wien ersetzt wurde. Die Fetische habe ich hier eigentlich als die wörtlichen Götzenbilder gelesen, also sinister grinsende Totem-Skulpturen aus Lebkuchenteig (oder Totkuchenteig?)…
Was mich noch gefreut hätte – das hat aber rein gar nichts mit Inhalt oder Qualität des Textes zu tun, sondern nur mit meinen ganz persönlichen (unnatürlichen) Vorlieben – wäre eine Anspielung auf eines jener unnennbaren fiktiven Werke gewesen, die vom Lovecraft-Zirkel immer wieder in ihre Texte eingestreut wurden (also z.B. namenlose Backrezepte aus Freiherr von Junzt’s „Unaussprechlichen Keksen“ o.ä.) und eine kurze Passage mit dem für „Onkel Theobald“ (HPL) so charakteristisch-unaussprechlichen Okkult-Kauderwelsch à la „Iäh! Ph'nglui mglw'nafh fhtagn“...

Tse Tse
08.12.2025 19:14

Danke für den guten, hilfreichen Kommentar!

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