michael ziegelwagner
nativity play - weihnachten mit de sade

michael ziegelwagner (aut) nativity play

beitrag von: trivialpoet

nativity play

weihnachten mit Sarah Kane

Ein Zimmer in einer billige Absteige in der englischen Provinz.  Eins von denen, die so billig sind, dass es an jedem Ort der Welt sein könnte.

Es hat ein Doppelbett. Ein kleiner Tisch mit einem Stuhl.
Ein kleiner, künstlicher Weihnachtsbaum aus Plastik steht auf dem Tisch; bunte Christbaumkugeln, 
Zwei Türen – eine ist der Eingang vom Flur, die andere führt zum Badezimmer im Off.

Zwei Leute kommen herein, MUHAMMAD und MARY.

MUHAMMAD
ist Mitte 30, in London geboren, Sohn pakistanischer Immigranten. 

MARY
ist  Anfang 20, ebenfalls in London  geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen. 
Sie ist hochschwanger. 

MUHAMMAD
War schon beschissener feiern als hier.

MARY
Wieso feiern?

MUHAMMAD
Es ist Heiligabend.

MARY
… mir egal.

MUHAMMAD (murmelt): 
Willst du nicht duschen? 
Wäre nötig, du stinkst ganz schön. 

MARY
Was? 

MUHAMMAD
Sagst du doch immer. Du kannst dich am Abend nicht mehr riechen.

Gib den Bälgern Trinkgeld, wenn sie aufkreuzen.

MARY
Welche Bälger. 

MUHAMMAD
:Hast du nicht gesehen? Im Foyer lungern Carol Singer herum. Die klappern sichern die ganzen Zimmer ab. 



MARY
Wir brauchen ja nicht aufmachen.

MUHAMMAD (auf dem Weg ins Bad)
Passt schon. Hab’ gerade meine christliche Ader entdeckt. 

Man hört das Wasser laufen. Er gurgelt lautstark.  
Dann kommt er zurück. 

MUHAMMAD
Dieser beschissene Geschmack im Mund. Mieses Abendessen. 

MARY erhebt sich schwerfällig vom Bett und läuft langsam ins Bad. 

MUHAMMAD
Doch duschen? 

Sie schüttelt den Kopf. 

Er lässt sich aufs Bett fallen.

Vor der Tür ist auf einmal Gesang zu hören. 
„We wish you a merry Christmas'. We wish you a merry Christmas'. “ 

Er zögert einen Moment. Dann rappelt er sich auf und öffnet die Tür. 

„We wish you a merry Christmas'. We wish you a merry Christmas'. “ 

Ein lauter Schrei im Bad. 

Sie kommt breitbeinig heraus. Steht mitten in der Szene. Sieht an sich herunter.

Der Gesang hört auf.

MARY (schaut entgeistert): Meine Fruchtblase ist geplatzt! 

review von: michael ziegelwagner

Harte Kost am Schluss: Am Finaltag wagt sich jemand an Sarah Kane! Der Beginn eine Variation des Eröffnungssatzes aus "Blasted" ("Zerbombt"), der grobe Umgangston ist gut nachgezeichnet, statt Zimmerservice oder eines Soldaten stehen die kleinen Carol Singer vor der Tür. Nicht nur ins Weihnachtliche ist die Szene versetzt, auch ins (Ost-)Österreichische ("Passt schon"), die Kane’schen Schockelemente – Mord, Kannibalismus, Vergewaltigung, Suizid – sind gemildert und beschränken sich auf Fäkalausdrücke, Körpergeruch und Explizitheit bei der Darstellung eines Geburtsbeginns. Den Weihnachtsliedersängern ("Bälgern") wird einigermaßen freundlich begegnet: Anders als in Bethlehem bringen die Gäste keine Geschenke, sie werden beschenkt. Der Text funktioniert für mich gut als Parodie, obwohl Sarah Kanes Stilmittel nicht übertrieben, eher verharmlost und zitierend angedeutet werden; Übertreibung, wenn sie denn überhaupt möglich ist, würde vermutlich eher unangenehm als komisch wirken. Vielen Dank!