michael ziegelwagner
Unterm Weihnachtsbaum - weihnachten mit de sade

michael ziegelwagner (aut) Unterm Weihnachtsbaum

beitrag von: trivialpoet

Unterm Weihnachtsbaum

weihnachten mit Friedrich Glauser

Um sechs Uhr morgens ist das Wohnzimmer nur mit Stille gefüllt. Eine Straßenlaterne bescheint von draußen einen Weihnachtsbaum, dessen schmale Lamettafäden das Licht silbern zurückwerfen. Auch ein Strohengel ist vorhanden. Er steckt in der Krone und wacht über die Stimmigkeit des weihnachtlichen Arrangements. 
Plötzlich steht ein kleiner Mensch da – man fragt sich, wo er auf einmal hergekommen ist.  
Dieser kleine Mensch ist ein Junge in einem blau karierten Schlafanzug. Mit blanken Füßen steht er da, von draußen mild beschienen. Zwischen den Geschenken strecken sich ihm zwei Beine entgegen. Sie stecken in gefütterten Stiefeln, deren blasse Sohlen von einem stillen Schneerand eingefasst werden. 
Das Kind geht zum Baum, schiebt mit seinen Händen die Zweige beiseite. 
Der Junge reißt die Lider hoch und läuft davon. 

Später findet sich ein Polizist ein. Offensichtlich von den Eltern telephonisch angefordert. Der Polizist hat sich ihnen als Gendarm Malan vorgestellt. 

Aufmerksam inspiziert er den Liegenden. Ein Geruch von billigem Schnaps umgibt den langen weißen Bart. Der Polizist meint keinen Atem feststellen zu können. Mit den Fingern fühlt er den Puls und zieht die Brauen hoch. Schaut in Richtung Tür, in deren Rahmen sich das Bild eines älteren Ehepaares befindet. 
Der Mann im weißen Unterhemd hält die Arme vor der Feinripp maskierten Brust verschränkt.
Die Frau zupft nervös am Gürtel ihres Bademantels. Ihre blanken Füße stecken in rosa Pantoffeln. 

Man müsste nach Kommissär Pillevuit telphonieren, denkt Malan, es könnte sich um eine Gewalttat handeln. Es sei denn, der Nikolaus wäre nicht von dieser Welt. 

review von: michael ziegelwagner

Das "mit Stille gefüllte Wohnzimmer" ist schön: Leere als Fülle. Die mit Feinripp maskierte Brust scheint mir dagegen etwas schief (Brust als Gesicht?). Sehr viel Erwähnung finden Lichtverhältnisse und Füße. Dass der Text auf Glauser Bezug nimmt, war für mich nicht ohne weiteres erkennbar, ohne den Titel hätte ich es vermutlich gar nicht gemerkt: Aus meiner eigenen Glauser-Lektüre, Jahre her, erinnere ich mich an eine Menge Helvetismen, die hier fehlen (mir sind damals so viele aufgefallen – Tschucker, Schroter, Chabis, "hocked ab, zum Tüüfu!" – , dass ich mitgeschrieben und eine ganze Titanic-Kolumne damit bestritten habe: "Zur Feinabstimmung der Schweiz"). 
Was sind für Sie die stilistischen Besonderheiten Glausers, die Sie herausgehoben haben? 
Wäre es am Ende keine Gewalttat gewesen, wenn der Nikolaus "nicht von dieser Welt" (= der echte) gewesen wäre?

kommentare

Tse Tse
24.11.2025 21:06

Vielen Dank für den Glauser! Bislang ist mir nur seine Biografie untergekommen – völlig unbegreiflich ...

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