unfassbare zahlenpoesie / aufruf

längst erscheinen die nachrichten im wirtschaftsteil der zeitungen nicht nur dem betriebswirtschaftlichen laien “unfassbar”. auch kapazunder des ökonomischen stehen vor der unmöglichkeit, die monströsen summen, mit denen das globale finanzkapital um sich schlägt, phänomenologisch zu “begreifen”. die vernichtung ganzer volkswirtschaften, das zocken mit real gar nicht existenten milliarden, die unvorstellbaren boni und abfindungen der zockenden, die gigantischen schuldenberge der einen und die nicht minder gigantischen gewinne der anderen  – all das beschert einem homo economicus simplex wie unsereiner ein hirnsausen, dem allein mit rationellen erkenntniswerkzeugen nicht mehr beizukommen ist.

deshalb muss wieder einmal die poesie her!

diese seit jeher auch als refugium und sehnsuchtsort des “unvorstellbaren” herhalten müssende literarische gattung schreit doch geradezu nach einer formgebung des nicht mehr zu begreifenden. drum lasst uns das, was wir nicht mehr kapieren, ohne geraune und mystifikation einfach niederschreiben; sei’s auch nur zum zwecke der  anschaulichkeit (blöd draufschauen wird man ja wohl noch dürfen) oder – sicher ist sicher! - als blitzableiter potentieller terrorfantasien.
so oder so: das verfassen “unfassbarer zahlenpoesie” bedarf keinerlei poetischer voraussetzungen. man muss nur nach maßlosen, beschämenden oder sonstigen summen von grotesker verhältnismäßigkeit ausschau halten und diese dann abtippen:

zentriert ge-
setzt schaut eh
fast alles
nach einem ge-
dicht aus.

sollte am ende auch keine neue morgenröte der poesie am horizont erscheinen, dann hoffen wir doch auf eine geballte zornesröte des volkes im anbetracht unpackbarer numerischen sauereien!

wenn uns die poesie schon nicht klüger macht,
dann soll sie uns wenigstens beim kotzen helfen.

fritz ostermayer

 

beispiele

die form der unfassbaren zahlenpoesie ist eine offene: “normiert” sei allein der titel des gedichtes als ausgeschriebene “unfassbare” zahl (siehe beispiele) und das ende desselben als die zahl in ziffern. alles dazwischen obliegt der jeweiligen rage der dichterinnen. und ihrem poetischen kotz-potential!

 

fritz ostermayer

dreihunderteinundfünfzig millionen dollar

2005 bekam vorstandsvorsitzender
lee raymond dank seiner ausscheidung von exxon mobile
die bis dato höchste abfindung aller zeiten.
sage und schreibe – kotgeile
351.000.000 dollar.

 

dreißig milliarden euro

ingvar kamprad, alter schwede,
viel zu hoch erschien die steuerlast dir dort im norden.
im schweizerischen epalinges besteuern sie dich gnädig nun
nur auf den einheitswert des grundstücks, das dir eignet:
jährlich brave 200.000 franken.
bei täglich 40.000.000 euro zuwachs dank IKEA
und geschätztem vermögen von - auch nicht ohne:
30.000.000.000 euro.

 

robert zikmund

drei monate

noch im outlet-center kostet eine jeans von tommy hilfinger fast 100 euro.
der bangladeschi, der hunderte von ihnen täglich zusammennäht,
bekommt im schnitt pro monat 30 euro lohn.
er müßte also schon ein weilchen arbeiten
um sich eine seiner eigenen hosen leisten zu können – fast genau:
3 monate.

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