lyrik – eine sprache der auszehrung? / übung
schreibe einen text, der sich selbst auffrisst!
onlineklasse mit sophie reyer
autokannibalismus als – gottlob äußerst seltene – menschliche praxis der selbstvernichtung, erzeugt auch in der kunst nur mulmigkeit – etwa, wenn man sich das video der us-künstlerin patty cheng ansieht, in dem sie sich ihre brust wie eine melone mit einem messer aufschneidet, um sie anschließend “auszuschaben”.
autokannibalismus in der politik nennt man “neoliberalismus” und meint damit eine wirtschaftsordnung, die sich selbst aufzehrt und gleichzeitig sehr wenige sehr fett macht.
wie aber könnte eine dichtung aussehen, die sich schreibend selbst vertilgt? kann man sich ein implodierendes gedicht vorstellen? eine krepierende prosaskizze? ein sich bis zum skelett abnagendes textgebilde?
wir müssen gestehen: darüber hatten wir uns bislang noch keine gedanken gemacht. es musste erst sophie reyer kommen, um uns eine klasse mit dem ungewöhnlichen sujet “poetische ausmergelung” vorzuschlagen. nun haben wir keine ahnung, was dabei herauskommen wird, aber genau deshalb finden wir es äußerst spannend!
die autorin schreibt zu ihrer klasse:
“wie muss eine subversive form der literatur heute aussehen? john l. austin schreibt in seiner theorie der sprechakte, dass performative äußerungen auf eine ganz besondere weise unernst seien, wenn sie in einem gedicht vorkommen oder von einem schauspieler auf der bühne getätigt werden – oder aber, wenn der sprechende sie zu sich selbst sagt. jede äußerung, meint er, kann diesen szenenwechsel in gleicher weise erleben. in diesem fall wird die sprache auf eine klare und durchschaubare art und weise unernst gebraucht. austin schreibt, die gewöhnliche handhabe der sprache würde “parasitär ausgenutzt”. er bezeichnet diesen aspekt des sprachgebrauchs als einen teilaspekt einer sprache der auszehrung. ich möchte mich jedoch hier in den begriff der etiolation, der auszehrung, verbeißen, um diesen selbst auszuzehren und ihn auf mein eigenes künstlerisches werk anwenden. eine suchbewegung in diese richtung soll diese online-schreibklasse darstellen.“
es gilt also die aufforderung:
schreibe ein gedicht, das sich selbst auffrisst!
wir freuen uns auf eure texte!
die teilnahme an dieser klasse ist von 5. februar bis 18. märz 2020 möglich. verlängert bis incl 21. märz, dem welttag der poesie!
die teilnahme ist kostenfrei. im menü oben "teilnahme" klicken.
sollte noch kein sfd-account vorhanden sein, einfach ab 5.2. >> hier registrieren und teilnehmen
(alle textbeiträge, als auch die kommentare von sophie reyer sind online für jede/n einsehbar.)
sophie reyer
*1984 in wien. schriftstellerin, soundpoetin, komponistin, promovierte philosophin.
lehrende an der pädagogischen hochschule n.ö. 2017/2018 lehrgangsleiterin der wiener schreibpädagogik (bös). schreibt lyrik, romane, theatertexte, hörspiele. zahlreiche preise und stipendien. besuchte einst die sfd-klasse von henri chopin ("poésie sonore", 2004). 2013 war sie bei fritz ostermayer in "ein album für die ewigkeit" zu gast und 2019 in der sfd bei "aus der schule plaudern – werkstattgespräche und lesungen".
aktuelle publikationen u.a.: queen of the biomacht, ehrlich (lyrik, limbus 2019), die freiheit der fische (roman, czernin 2019), mutter brennt (edition keiper 2019) – nominiert für den österreichischen buchpreis.
sophiereyer.com