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jammern auf hohem niveau

beitrag von: peregrini

anteilnahme, immer wieder schön (und gut für's geschäft)

Dein Sohn ist also gestorben.
Das ist natürlich traurig, aber weißt eh,
es sterben dauernd irgendwelche Leut.
Da brauchst dich jetzt wirklich nicht auch noch extra damit beschäftigen,
als wär das was besonderes.

Und dann auch noch zehn Jahre später.
Hättest damit nicht auch gleich daherkommen können?
Dann hätten wir's hinter uns und könnten uns wieder mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftigen.
Schau was ich z.b. grad gemacht hab.
Ist doch viel interessanter, oder?

Na ja, immerhin hast du ein Buch darüber geschrieben.
Sonst könnt ich dich überhaupt nicht mehr ernst nehmen.
Arbeit geht vor, und wenigstens vermarkten kann man deine Erfahrungen jetzt.
Sonst wär's ja wirklich für gar nichts gut.
Sonst hättest dir deine Gefühle auch gleich sparen können.

Ich würd dir das ja nicht ins Gesicht sagen,
dafür halt ich mich schon für zu rücksichtsvoll.
Deshalb erzähl ich es lieber allen anderen.
Ich hoffe du verstehst das.
Dein Verlust ist einfach zu langweilig, ohne ein paar likes und ein bisschen Werbung für mich.

review von: christiane rösinger

Das ist erstmal harter Stoff, der über das bloße "Jammern" hinausgeht.  Eine arg negative Weltsicht steht hinter diesen Zeilen. Überhaupt scheint die Dystopie bei dieser Internetklasse die beliebteste Form zu sein.  Formal finde ich es sehr gut, dass erst einmal eine krasse Behauptung in den Raum gestellt wird: der Tod deines Sohnes interessiert mich nicht. Und dann wird es von Strophe zu Strophe ein wenig abgemildert: Ist eh 1o Jahre her, hast ja ein Buch drüber geschrieben. Um  in der letzten Strophe klar zu machen, dass nur Klicks und Aufmerksamkeit in Social Media interessieren. Kennst du die Netflix -Serie Black Mirror? Da geht es in einer Folge darum, dass Menschen streng nach ihrer Social-Media -Beliebtheit  eingeteilt werden, und diese Beurteilung immer über ihnen schwebt, auch visuell als Zahl. 2,3 ist noch gut, ab 4,1 verlierst du die Wohnung, bekommst keinen Job. Das nur so als Assoziation. Deinen Text finde ich ganz gelungen.

 

andrea peregrini sagt
01.12.2017 11:27
danke, auch für den serien-tipp. ich hab dabei (unter anderem) an hagen rether gedacht, den ich eigentlich ganz gut finde, aber da hat er sich wirklich nicht mit ruhm bekleckert https://www.youtube.com/watch?v=8D_DzP2L5-w