#sfd-twitter-onlineklasse

beitrag von: katrin_ohne_h

Vierzeiler zur Lage von Twitter

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Spontan auf diese Vierzeiler gestoßen. Er wirkt, als hätte man Dichtung (im engen Sinne) und Twitter aufeindander geklatscht. Starres, klassisches Reimschema, wenngleich nicht metrisch regelmäßig, 3 Strophen à 4 Versen, beinahe schon öd. Inhaltlich handelt es von Twitter selbst (dem Medium auf dem es publiziert wurde, ur meta wow), verfasst in einem irgendwie verstaubt anmutenden Sprech, zur starren Gedichtform passend, während es sich aber doch Wörtern wie "favs" bedient. Der holprige "Stil" klingt als wäre er und er war höchstwahrscheinlich auch absolut gewollt, was sich meiner Erfahrung nach sehr in Teilen des Jargons auf Twitter spiegelt.

review von: martin fritz

ein bemerkenswertes fundstück! du hast die form ja bereits sehr gut beschrieben. und ich stimme - jenseits müßigen mutmaßens über die absichten von @deichcruiser - zu, dass die altbackenheit der form wie die holprigkeit und schnoddrigkeit der ausführung vermutlich gewollt sind oder zumindest bewusst in kauf genommen wurden, weil sie insgesamt halt wieder sehr stimmig sind: die konventionelle, doch leicht defizitär ausgeführte gedichtform für eine meta-aussage über twitter entspricht der ebenfalls häufig absichtsvoll "falschen", eben leicht verschobenen twitter-lingo, wie sie zumindest ein teil der deutschsprachigen user*innen seit ein paar jahren pflegt. hier werden u.a. fehler und verbrauchte sprachbilder durch überaffirmation umgewertet, ironisiert und neu codiert und so insgesamt ein raum geschaffen, in dem sehr schwierig zu entscheiden ist, wie sehr sich das alles bereits verselbständigt hat (und ob es bereits selbst wieder zu konvention zu gerinnern droht). wir haben jedenfalls eine weiteres twitteratur-genre entdeckt: wollen wir es die leicht angetwitterten gedichte nennen? gedwichte?

was das inhaltliche betrifft: ich kann persönlich mit erzählungen der sorte "früher war es besser, heute schlechter" generell wenig anfangen, erliege hier aber doch auch dem entwaffnenden charme der implizierten handlungsanweisung: es sollten auf twitter alle (wieder) viel lieber werden. und so was ist natürlich immer interessant: wie hat der tweet das gemacht?

eine weitere beobachtung zu dem tweet: was er über twitter als ganzes sagt, ist natürlich unsinn, weil es das eine twitter ja nicht gibt, sondern viele verschiedene communities und handlungsweisen auf twitter. und im gegenteil gibt es immer noch bereiche von twitter, wo kein motzen und brüllen, sondern das sich gegenseitig gerne lesen, spaß und freundlichkeit regieren (in einem ausmaß, das für viele außenstehende sicherlich verwirrend ironisch oder naiv erscheint, wo es doch jenseits solcher kategorien angesiedelt ist, hallo maustwitter!), ebenso, wie es halt auch bereiche gibt, in denen nur die favs und retweets zählen (halle schmunzeltwitter!)

generell scheint mir der eingereichte tweet am schmalen grat zwischen schmunzeltwitter und maustwitter zu liegen und von dort gibt es viel zu sehen - ich bin schon gespannt, welche tweets wir im anschlass daran zu sehen bekommen auge aufgabe 2
Andrea Ghoneim sagt
06.11.2019 18:40
"nicht lange her"... - und das twittergedicht von @DeichCruiser wäre sich als Tweet gar nicht ausgegangen, denn die zeichenbegrenzung (140 zeichen) wurde erst vor einigen jahren gelockert.
martin fritz sagt
07.11.2019 10:44
hehe, das ist mir gar nicht aufgefallen und eine sehr gute beobachtung, danke!