#sfd-twitter-onlineklasse

beitrag von: rebeccaheinrich

ist das schon ein gedicht, weil es untereinander steht und wann ist ein gedicht ein gedicht und wann ist ein twitterbeitrag ein gedicht

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"Lyrik für Anhänger #1

Logistik

Logistik ohne 
Sorgenfalten
Weil Wüst sich 
um alles
kümmert"

muss ehrlich gestehen, ich musste bei lyrik für anhänger, auch wenn es sehr banal ist, doch schmunzeln. bekommt von mir schonmal einen pluspunkt für die überschrift.
die frage, die sich mir hier gestellt hat, ist dieselbe, die ich auch bei lyrik außerhalb des twittermediums finde. ist das jetzt schon ein gedicht, weil ich es untereinanderstelle. ich finde in diesem fall: ja. es geht ja um die verbindung mit dem bildlichen medium - hier die wunderbare werbung mit dem süßen hundecontent auf dem lkw hintendran - und dem ironischen aufgreifen dessen, worin sich die urheber*innen der werbung nicht bewusst waren - oder vielleicht doch? war es platzmangel, dass die einzelnen worte untereinander geschrieben wurden, in versform? oder war es absicht, soll die gedichtform als deautomatisierung dienen?
fragen über fragen, die mensch hier nicht beantworten kann. was aber klar ist: der tweet hat dies erkannt und greift nun selbst zum "untereinanderschreiben". wenn so ein - nehmen wir es mal an - "uppsala" der werbeindustrie von einem klugen geist dazu verwendet wird, eine der größten debatten (zumindest empfind ich das oft so) in der lyrik anzustoßen, dann kann man verfasser*in nur dazu gratulieren. finde es auch ganz groß, wie wortwörtlich zitiert wird, und nur der umbruch am anfang ein bisschen verändert wird. kunst ist kunst, wenn sie selbstreflexiv ist? ein gedicht, ein gedicht, wenn es sich selbst thematisiert? falls ja, so: ja zu diesem tweet!

review von: martin fritz

über zeilenumbrüche haben wir schon öfter hier geredet, siehe z.b.: https://sfd.at/programm/2019/twitterklasse/alle-beitraege/5 und hier: https://sfd.at/programm/2019/twitterklasse/alle-beitraege/7 - ich muss da weder mich selbst noch deine überlegungen wiederholen so weit es um grundsätzliche überlegungen geht: da gehen wir wohl eh weitestgehend d'accord bzw. geht es - wie du richtig sagst - sicher um grundsätzlich nicht endgültig und allgemein lösbare fragen.

schauen wir uns also das fragliche gedicht  oder eben nicht-gedicht genauer an. ich finde schon den titel "lyrik für anhänger" mehr als nur einen schmunzler (der der titel natürlich auch ist), denn die doppeldeutigkeit von anhänger (als das was am kraftfahrzeug dranhängt und als diejenigen, die von lyrik begeistert sind) macht ja schon die transformation von der werbeaufschrift zum gedicht gewissermaßen zum thema (schade nur, dass die anhängerinnen da untergehen - auf andere weise nicht funktioniert das übrigens im englischen: fans sind anhänger*innen und föhne und nicht gegendert - nur leider haben föhne keine aufschriften. wie sich das wohl lösen ließe?). dann kommt die "logistik ohne sorgenfalten", die mit oder ohne zeilenumbrüche (das wiederum ist kein gutes zeichen, wenn es nicht relevant ist!) für mich angenehm weit entfernt von meiner lebenswelt und den in lyrik erwartbaren wortfeldern liegt. die vorstellung, sich unter logistik konkretes vorstellen zu können, das dann sorgenfalten hervorruft, ist angenehm bizarr und hilft mir gleich, den richtigen aufmerksamkeitsmodus für das potentielle gedicht zu finden. dann müsste aber das "wüst" meiner meinung nach unbedingt klein geschrieben zu werden um vom firmennamen zum adverb zu werden, und dann geht es wunderschön auf: wüstes kümmern - was für ein bild! da haben die logistischen sorgenfalten keine chance mehr. 

es liegt nahe, dass das spiel mit poetischer/sprachlicher found footage (wir hatten das ja auch schon, siehe https://sfd.at/programm/2019/twitterklasse/alle-beitraege/1) als twitteratur-genre (wie es ja auch außerhalb twitters sehr gut für lyrik-produktion funktioniert) sehr gut funktionieren kann. hinzu kommt wie ebenfalls bemerkt, dass das einbinden von bildern bei twitter dem einen weiteren aspekt hinzufügt.. 

ich bin also schon sehr gespannt, ob sich dazu weitere tweets finden lassen, die dann ebenso die selbstreflexive schlaufe darüber drehen, ob sie denn gedichte sind bzw. was das sein soll. oder auf tweets, die eine ganz andere ausfahrt nehmen. 
bild