beitrag von: Kunstwart
Die Wiese hinter den Gefühlen
Die Wiese hinter den Gefühlen
Regenbenetzt im Abendlicht.
Sterne fangen zu singen an.
So ein Gedicht ist auch nur ein Ding,
Wenn auch eines ohne Gebrauchsanleitung,
Eines, dass man achtlos mit sich trägt
wie ein Taschentuch in der Manteltasche.
Allerdings nicht in der Manteltasche
Sondern im Kopf
So ein Gedicht ist auch nur ein Ding,
Aber was erzähle ich Ihnen?
review von: ondřej cikán
„Die Wiese hinter den Gefühlen“ ist ein schönes Bild. Schön heißt, dass es außergewöhnlich ist und durch seine Außergewöhnlichkeit die Phantasie anregt.
„So ein Gedicht ist auch nur ein Ding“ ist eine kräftige Ansage, die Spannung erzeugt. „Wenn auch ohne Gebrauchsanleitung“ passt dazu.
„Sterne fangen zu singen an“ ist natürlich ein hübsches Bild, aber im Zusammenhang (ein Gedicht über ein Gedicht) wirkt es vielleicht ein bisschen kitschig.
Dass man ein Gedicht im Kopf herumträgt, versteht sich hingegen von selbst, und ein Taschentuch trägt man nun einmal in der Mantel- oder Hosentasche herum, wo sonst. Das ist nichts Außergewöhnliches.
Die Errungenschaft des Surrealismus (und Poetismus), die sich Artmann angeeignet hat, liegt darin, dass man Dinge sichtbar macht, indem man sie in völlig außergewöhnliche, ungeahnte Bezüge stellt. Wenn die Sterne singen, dann singen sie wie? Zum Beispiel „im Bariton weinender Hummeln“ o.ä. So etwas würde die Sterne und den Gesang um einen weiteren Aspekt bereichern. Das Bild würde sich ins Gedächtnis der Leser einbrennen. Anderes Beispiel: „Regenbenetzt im Licht eines untergehenden Glühdrahts“ o.ä. wäre viel auffälliger als „im Abendlicht“. Und ein „untergehender Glühdraht“ würde auch das „Abendlicht“ evozieren, aber ein besonderes …
Und wieso trägt man ein Gedicht eigentlich „achtlos“ mit sich herum? Und wieso wie ein Taschentuch?
Wenn schon „achtlos“ und „wie ein Taschentuch“, dann könnte das Taschentuch zumindest angeschneuzt sein!
Alles Liebe, OC.