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fieberträume

beitrag von: SofieMorin

4. Krankheiten kleinschreiben

Um ihnen die Macht zu nehmen, beschließe ich, dass die meisten Krankheiten erfunden sind und schreibe sie fortan klein. Dieses leidige Spiel mit Pathologien lässt nichts in mir genesen. Gesundheit ein stummer Schrei. Die Symptomtrias eine stete Mimikry und ich liege unter meinen Diagnosen wie unterm herbstlichen Blätterdach.
Klinischen Studien am Gipfel der Macht: in Phase IV scheint alles wägbar, nichts gewonnen. Ich fröne dem intellektuellen Aderlass, will das kränkelnde Medizinlexikon kleinreden. Krebs zum Beispiel. Ich mag nicht an die Kriegsmetaphorik glauben, die ihn so routiniert bedenkt. Viel lieber als Naturwissenschaftlerin bin ich Artistin, jongliere mit alten Begriffen wie Fallsucht und Gemütskrankheit. Die Bezeichnungen damals so viel ehrlicher mit ihren Vorurteilen, die neuen beweisen sich noch.
Im Projektantrag steht der Wille zur Personalisierung, ganz so als wären bislang keine Personen beteiligt gewesen. Ich sehe weiße Mäuse in Plastikgehegen und weiß sie nachtragend.

review von: Raphaela Edelbauer

Ich find die Idee sehr lustig – dass alle Krankheiten erfunden sind. Was ich vielleicht noch bedenken würde, sind die Vergleiche und Metaphern. Ist „ich liege unter meinen Diagnosen wie unterm herbstlichen Blätterdach“ wirklich schlüssig? Was an Diagnosen ist wie ein Blätterdach? „Ich mag nicht an die Kriegsmetaphorik glauben, die ihn so routiniert bedenkt“ – was heißt es, dass die Kriegsmetaphorik den Krebs „bedenkt“? Solche Dinge würde ich überprüfen.