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kritik der tiere

beitrag von: chzureich

Motten ausrotten

Ich bin dafür, die Motten 
auszurotten!
Weil: Sie gehen mir ans Gemüt. 
Immer wenn ich eine seh 
seh ich: den Zahn der Zeit, wie er nagt
Gerade fliegt eine in meinem Zimmer -
bald frisst sie sich durchs grüne Kleid aus Seide
das heute neu und doch 
schon gemarkt, miniert, zerlöchert, passé und vorbei ist
für immer
egal wie zukünftig das Ereignis: unausweichlich, wie mein eigener Zerfall!
Weiß ich, daran muss ich nicht erinnert werden von einer ugly Variante Schmetterling! 
Wie sie die Vanitas mit schmutziggrauen Schuppenflügeln mimt!
Darum muss sie jetzt dran glauben! Wenn nicht als Art, dann doch wenigstens persönlich!
Dreimal klatsch ich Luft, die nichts enthält
kein Mottenplus
bevor ich meinen Daumen schrauben kann aufs Fenstersims. 
Unter meinem Finger das Vieh zerfällt
zu Staub  
herrjeh, es zerfällt zu Staub
symbolschwanger
zu Staub
ich fühl mich ähnlich.
Motten gehören ausgerottet damit ich das nimmer sehen muss  
ist das zu viel verlangt?

review von: martin fritz

unsicher bin ich immer etwas, wo kritik in vernichtungswünsche übergeht; hier ist zu hoffen, dass die ich-erzählstimme durch die selbstreflexive pointe am ende des textes das widersinnige davon eh selbst einsieht. und wer hat nicht bereits angesichts des verlusts geliebter kleidungsstücken ähnliche stoßseufzer geseufzt! abteilung "nur ein detail, aber": natürlich habe ich nichts grundsätzliches gegen anglizismen, aber über das "ugly" bin ich gestolpert, warum gerade dieses attribut? ließe sich ein anderes finden oder muss es (weshalb?) gerade dieses sein? generell frage ich mich angesichts dessen, dass wir eigentlich mehr über das tier namens "ich" und dessen haltung zu motten erfahren als über die motten selbst, ob oder wie vielleicht noch etwas mehr licht auf die motten gelenkt werden könnte?

wäre der motten-text jedenfalls ein anemonenfisch, er wäre ein oman-anemonenfisch.
Sofie Steinfest sagt
23.04.2022 08:54
Ach, Christine, wie gut Du die Vergänglichkeit als Motte triffst. "Egal wie zunkünftig das Ereignis" mag ich besonders. Es überlässt die Zeit ganz erbarmungslos sich selbst (wie die wehrlosen Kleider den Motten, so?) Und ich hab gelesen "kein Mottenpuls" und wars zufrieden damit.
Christine Zureich sagt
23.04.2022 10:15
ach, liebe Sofie, Mottenpuls! was für ein schöner und wichtiger Verleser! Den übernehm ich schamlos und pfeife auf den Reim
Christine Zureich sagt
23.04.2022 10:27
Ha, lieber Martin Fritz, das Mottennest ist gestern Abend noch aufgeflogen (ein Stück Wollfilz in der Bastelschublade) und wir (die Erzählstimme und ich) sind sicher, schon bald wieder weniger vernichtend und egozentrisch über Motten schreiben zu können.
Und mit dem ugly haben Sie sicher recht, ich hatte dabei das "ugly duckling" im Sinn, das auch grau ist und sich im richtigen Kontext als schön erweist. Das wäre natürlich auch als "häßlich" gegangen, aber da Englisch meine Kindheitssprache ist, schwappt da ab und an was rüber. Für mich wars in dem Moment genau richtig konnotiert. Ab jetzt nenn ich das Vieh aber an der Stelle "schiech" also "schieche Variante Schmetterling". Was meinen Sie?
martin fritz sagt
24.04.2022 16:08
aja, mit "ugly duckling" ergibt das natürlich gleich wieder sinn und das ist natürlich ein schöner vergleich/zusatzkontext, um den es auch fast wieder schade wäre, wenn er fehlte. ich wüsste nur auf die schnelle auch nicht, wie das noch deutlicher funktionieren könnte. aber vielleicht muss es das auch gar nicht... und "mottenpuls" werde ich auch sofort in meinen aktiven wortschatz übernehmen.