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kritik der tiere

beitrag von: SilkeScheffel

Tauben zentral (eine notwendige Annäherung)

nähert man sich dem Zentrum
nähert man sich den Tauben
deren Arche längst die Stadt geworden
vielleicht sind sie gar gläubig
finden sich die größten Mengen
doch vor Kirchen Domen Kathedralen
oder sind es wir die glauben
und die Tauben führen uns
flattern instabile Schwärme
teilen sich wie Meere
vor den Füßen
flügelwildes Federspiel schlägt Wellen
bis hinauf an Rinnen
warten oben aufgefädelt
Ziegel ätzend
auf die Herrschaft
und die Nacht
die mutig schwarz nach ihnen greift
dann sind sie fort für den Moment
sind lautlos über uns versickert
in den Klüften und den Spalten
bis zum nächsten Lichtbeginn
wenn sie sich frisch gemehrt
von oben ins Quartier ergießen
überfluten uns mit schierer Masse
bis wir Hälse über Tauben recken
um noch etwas Stadt zu sehen

review von: martin fritz

ich mag sehr, wie der text herausarbeitet, dass tauben ganz entschieden zu den tieren gehören, die es nur im plural gibt. ebenfalls (und hiermit widerspreche ich mir selbst, wenn ich mir bei anderen texten eine deutlichere wertung gewünscht habe) mag ich, wie (mangels einer besseren bezeichnung sage ich jetzt mal) ausgewogen sich hier den tauben genähert wird, die doch sonst in vielen tieren, die menschen sind, sehr starke (positive oder negative) emotionen hervorrufen. die mutmaßungen bzw. beobachtungen über die gläubigkeit der tauben und wie sie den trick schaffen, via masse quasi zur flüssigkeit zu werden, das ist, denke ich, schon recht genau das, wo wir hier mit der kritik der tiere hin sollen. um aber doch auch an einem detail herumzudenken: ich stocke bei der anapher am anfang ein wenig, zumal es die einzige im ganzen text ist. braucht der text die aus einem grund, den ich nicht sehe, oder würde die annäherung auch anders gehen?

wäre diese annäherung an die tauben ein anemonenfisch, wäre er ein weißband-anemonenfisch.
Sofie Steinfest sagt
24.04.2022 16:49
Oh, ich bemerke diese berechtigte Rezeption jetzt erst und stelle fest, dass ich in der Beantwortung dann das Gegenteil gemacht hab: die einzelne aus dem Taubenschwarm hervorzuheben. Dabei sollte einmal wer darüber schreiben wie sehr doch ein Schwarm für sich genommen ein Tier ist, ein durchaus lästiges weil nur scheinbar in unseren Maßstäben berechenbares, oder so.
martin fritz sagt
24.04.2022 17:32
das ist ja gerade das schöne, dass eben beides geht. auf den schwarm-text bin ich persönlich gespannt, hoffentlich kommt er noch.
Silke Scheffel sagt
24.04.2022 17:46
Erst einmal wieder herzlichen Dank für die Rückmeldung, die nicht Schwarm gebunden daher kommt ;) . Die Anapher am Anfang und ob die notwendig ist...ich glaube ich wollte damit hervorheben, wie unbedingt sich Zentrum und Tauben verbunden sind, (das es schon beinahe ein Naturgesetz ist), für all diejenigen, die schon versuchten ohne Tauben in der Stadt, oder ohne Stadt in den Tauben zu sein. Zugegeben ist dies ja im Verlauf des Textes weiter ausgearbeitet und daher vielleicht nicht zwingend notwendig und man könnte den Einstieg mit etwas weniger Kausalität beginnen...
martin fritz sagt
24.04.2022 18:10
verstehe; und dieser zusammenhang zentrum/tauben darf ja gern zentral markiert werden als einstieg. vielleicht gilt hier ja auch einfach: if it ain't broken, don't fix it.
Sofie Steinfest sagt
25.04.2022 09:25
versuchen "ohne Stadt in den Tauben" zu sein, herrlich. Dieses Bild werd ich jetzt nicht mehr los, danke auch dafür!