beitrag von: SofieMorin
Tauben waldwärts (eine nutzlose Auseinandersetzung)
Tauben waldwärts (eine nutzlose Auseinandersetzung)
- Versuch einer Beantwortung von „Tauben zentral (eine notwendige Annäherung)“ von Silke Scheffel -
wie ich mich von den Ballungen entferne
entferne ich mich von den Stadttauben
die wir sorgenfältig gelernt haben zu beklagen
da sie einer maroden Kultur folgen
da sie uns Siechtum verheißen
doch nicht ihre Tränen sinds
die unsere Denkmäler erodieren
und nicht ihr Angstschweiß
unter dem Fassaden bröckeln
keine Spitze hält sie ab
und nichts glauben sie
gegen sich gerichtet
ihr Ruf ein stetes Gurren
das meine Kindheit einlullt
einst war mir das Tier dazu unerkannt
ich nahm das persönlich und wusste nicht
wie sehr sie uns allen folgen
selbst bis an Waldränder
wo sie nichts als sich verloren haben
wo wir auf den Fuchs hoffen sie zu vertreiben
wo wir auf den Eichelhäher hoffen sie anzuzeigen
wo wir auf Raubvögel hoffen sie zu dezimieren
ich aber denke immer auch ans Turteln
und an dieses eine Taubenjunge
das wir mit Saft aus unseren Mägen gefüttert
damit es verwildere an unserer Stelle
weil es das so viel besser kann
review von: martin fritz
beiträge, die auf andere beiträge bezug nehmen - das hätte ich mir ja gar nicht zu wünschen gewagt, dass die auseinandersetzung in der klasse so intensiv laufen wird. wie schon in den kommentaren bei silke scheffels tauben-text (und beim hund) besprochen ist das hier sicher eine wichtige ergänzung, die sich auf die einzelne taube am waldrand konzentriert, statt auf die vielen in der stadt (und die bekommen, wenn ich's richtig lese, auch ihre, nunja, ist "verteidigung" das richtige wort?). faszinierend finde ich, wie beide texte (scheffels stadt-tauben und der hier vorliegende) nicht nur jeweils für sich stimmen, sondern (auch wo und gerade weil sie sich widersprechen) durch den jeweils anderen noch mehr stimmen (wenn das sinn ergibt?). und das führt nun über den text hinaus, und ich weiß auch nicht, ob es hilft das zu erwähnen für ein gesamtbild der tauben, aber ich selbst halbe mal lange das gurren einer taube für einen kuckuck gehalten, es war also eine art durch meine ignoranz erzeugtes inverses akustisches kuckucksei. ich fürchte, das verwildert nun den taubendiskurs zu sehr und das überlasse ich denen lieber selbst, da die das anscheinend so viel besser können.
wäre diese antwort ein anemonenfisch, wäre sie ein samtanemonenfisch.
Ignoranz ist aber ein wichtiges Thema für jegliche Kritik, weil alles genaue Hinschauen, wie ich ja glaube, das Schätzenswerte an einer Sache/einem Text/einem Tier hervortreten lässt und nur Ignoranz wirklich vernichtender Kritik fähig ist. Das würd mich auch einmal interessieren, das durchzuspielen, eine Tier-Kritik zu lesen, die absichtsvoll Wesentliches auslässt, nur um das Mitgeschöpf zerschmettern zu können (und dabei versehentlich die eigene Kritikfähigkeit). Irgendwie so.
Ich denk viel nach über lyrische Dialoge (indem ich sie erst schreibe oder anzettle und dann schau, was ich da eigentlich gemacht hab) und hab hier auch gefunden, dass sich mein Text (den ich nicht so gelungen finde wie den von Silke Scheffel) an den ihren lehnt und aber diese Anlehnung zugleich etwas an ihrem Text hervortreten lässt, das zwar zuvor auch schon da war, aber durch seine Funktion als Stütze in gewisser Weise an Deutlichkeit gewonnen hat. Wenigstens glaub ich, dass das so ist.