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kritik der tiere

beitrag von: jhruebel

wesens verwandt

wenn ich unkraut jäte akzeptieren sie mich als ihresgleichen. das wühlen und graben ist ihnen zutiefst hühnerhaft. 
sie wundern sich vielleicht, dass ich verbissen nach den weißen wurzeln des giersches giere. sie hingegen stürzen sich auf alles was kriecht und krabbelt. 
wenn ich zur hacke greife, akzeptieren sie mich als macker. wenn ich mein holz spalte, riskieren sie, dass ihnen ein scheit auf den bürzel fliegt, denn es gibt kellerasseln, das muss wie frische shrimps sein. 
wenn sie mich sehen, kommen sie angewackelt und gackern, nein, fiepen wie kleine junghühner, um meinen versorger reflex zu triggern. 
obwohl sie nicht wissen, dass sie vielleicht die glücklichsten hühner der welt sind (was wahrlich nicht schwer ist) scheinen sie mich zu mögen. 
ich kann jedem empfehlen mit vögeln zu sprechen auch wenn er/sie nicht franz heißt.

review von: martin fritz

diese schilderung des zusammenlebens mit hühnern macht mich fast neidisch, nicht selbst mit solchen gefährt*innen zusammenleben zu können. und es muss natürlich nicht immer sein, aber ich habe mich auch bei diesem text (wie schon bei früheren texten der klasse) gefragt, ob er auch (und sogar bessser?) funktionieren würde, würde gar nie explizit ausgesprochen, um welche tierart es hier geht. das für mich angenehme mutmaßen beim ersten lesen der ersten zeilen würde dafür sprechen. vorsichtig bin ich persönlich immer mit superlativen. ich will natürlich nicht unterstellen, dass den beschriebenen hühnern auch nur irgendetwas zu ihrem absoluten glück fehle oder dass das "ich" des textes nicht alles dazu täte, dass sie es sind - aber ob es nicht doch irgendwo auf dieser erde noch glücklichere hühner gibt? der zweifel, dass es anders sein könnte, wird mit einem superlativ halt immer gesät! fast zuletzt wie üblich noch ein paar unwichtige details: ich würde noch ein paar beistriche mehr setzen: "wenn ich unkraut jäte, akzeptieren sie", "stürzen sich auf alles, was kriecht und krabbelt" etc. aber so kleinlich will ich nicht enden: während es andere texte gibt, die so in sich geschlossen sind, dass jede ergänzung sie nur schwächen würde, könnte ich mir hier durchaus vorstellen, noch einige zeilen mehr über die hühner zu lesen, die mir noch näher bringen, warum mit ihnen zu sprechen so empfehlenswert ist.

wär wesens verwandt ein anemonenfisch, wäre der text ein dreiband-anemonenfisch.
Jan Hendrik Ruebel sagt
28.04.2022 17:17
vielen dank für das ausführliche Feedback!
So besser?:
wenn ich unkraut jäte, akzeptieren sie mich als ihresgleichen.
sie wundern sich vielleicht, dass ich verbissen nach den weißen wurzeln des giersches giere. sie hingegen stürzen sich auf alles, was kriecht und krabbelt.
wenn ich zur hacke greife, akzeptieren sie mich als macker. wenn ich mein holz spalte, riskieren sie, dass ihnen ein scheit auf den bürzel fliegt, denn es gibt kellerasseln, das muss wie frische shrimps sein.
ich entschuldige mich bei ihnen, wenn ich ihnen ihre einzigartigen eier klaue. kein ei gleicht dem anderen. ich tadele sie mäßig, wenn sie mir meine erdbeerpflanzen zerfleddern. ich spreche mit ihnen, wie mit meinem katus oder dem zweijährigen ukrainischen mädchen, das jetzt bei mir wohnt. sie alle hören nicht auf mich und scheinen mich zu mögen.
wenn sie mich sehen, kommen sie angewackelt und gackern, nein, fiepen, um meinen versorger reflex zu triggern.
ich kann jedem empfehlen, mit vögeln zu sprechen, auch wenn er/sie nicht franz heißt.
martin fritz sagt
28.04.2022 20:00
ja für mein empfinden ist der text so wirklich nochmal stärker geworden!

(martin fritz)