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kritik der tiere

beitrag von: cportele

suizidaler regenwurm

eben noch spreche ich mit meiner psychotante über
suizid
(den meinen!)

nun begegnet mir ein 
regenwurm auf einer straße
was tust du hier
frag ich
doch er bleibt stumm
du bist am falschen ort
sag ich
er spricht nicht zu mir
verweigert sich
versucht sich in den teer zu bohren, was
ihm nicht gelingt
du musst ins gras, dort
kannst du dich in erde wühlen
erkläre ich
er dreht sich weg, versucht
sein glück erneut
scheitert erneut

ich höre in der ferne
ein brummen, das
schnell näher kommt
ein auto
beeil dich
schreie ich
denn auch wenn ich suizidal bin
so soll es doch der regenwurm nicht sein

ich rette mich durch einen sprung vor dem 
vorbeibrausenden fahrzeug
(den zeitpunkt meines suizids bestimme ich, nicht ein hirnamputierter autofahrer!)
wie durch ein wunder
hat dieses mal der regenwurm 
den angriff auf sein leben überlebt
komm in die wiese 
bettle ich
aus irgendeinem grund 
möcht ich, dass dieser regenwurm 
die strasse überlebt
vielleicht muss ich
bis morgen
meinen suizid verschieben und
schauen, ob’s den regenwurm
noch gibt
den regenwurm, die rosafarbne glibberschnur,
der stur versucht
das erdreich
sein zuhause
durch die asphaltschicht zu erreichen

review von: martin fritz

wieder fällt es mir angesichts des themas nicht leicht, eine review zu schreiben, wirkt doch herumdenken an details wie beistrichen, erzählperspektiven und zeilenumbrüchen etc. angesichts der thematisierung von suizidalität etwas deplaziert. doch eigentlich ist es eh fast eine hoffnungsvolle erzählung, wie der suizidale regenwurm den suizid der menschlichen ich-erzählstimme verschiebt. auffällig ist hier, wie bei auffällig vielen texten der klasse, dass die perspektive ziemlich auf die menschlichen tiere zentriert bleibt, die des regenwurms wird nur über die mutmaßungen der erzählstimme eingenommen (ich verbinde damit gar keine wertung, ich finde es nur auffällig). was ich mich aber schon frage: warum hat das erzähl-ich dem regenwurm nicht einfach geholfen, ihn an den straßenrand getragen? freilich würde dann der ganze text nicht mehr funktionieren, der so - neben vielem anderen - übrigens auch ein wichtiger kommentar zur bodenversiegelung ist, österreich ist hier bekanntlich europameister. weiters erfreut mich, wie viel hier mit so wenigen, einfachen mitteln aufgemacht und an atmosphäre erzeugt wird. ich wünsche jedenfalls dem wurm und ich des textes alles gute.

wäre der suizidale regenwurm ein anemonenfisch, wäre er ein rotmeer-anemonenfisch.
Christiane Portele sagt
28.04.2022 15:19
zuerstmal danke für die rückmeldung!
ich glaube, wer mit suizidgedanken spielt, reagiert nicht immer logisch. außerdem fasst nicht jeder gerne einen regenwurm an. einen regenwurm von der straße zu puhlen, um ihn zu retten, das machen fast nur kinder (in meiner erfahrung). soll aber keine rechtfertigung sein. du hast recht, der hauptgrund: sonst funktioniert der text nicht.
trotz des themas wäre ich auch an details interessiert.
martin fritz sagt
28.04.2022 15:44
die rettung oder eben nicht rettung des regenwurms ist ja schon so ein detail. ich sehe das nicht als grundsätzliches problem des textes an und die genannten gründe sind ja plausibel - vielleicht könnten sie ihm text noch genannt werden, um den leser*innen die suspension of disbelief nochmal zu erleichtern? ansonsten bin ich bei manchen zeilenumbrüche nicht ganz sicher, z.b. am ende, ginge nicht auch: "sein zuhause durch / die asphaltschicht zu erreichen", um die ähnlichen umbrüche von oben (z.B. "versucht sich in den teer zu bohren, was / ihm nicht gelingt") nochmal aufzunehmen? für mich würde dann auch die geschwindigkeit zum ende hin besser passen, oder? aber das sind dann letztlich schon geschmacksfragen...
(martin fritz)
martin fritz sagt
28.04.2022 15:45
*bei manchen zeilenumbrüchen
martin fritz sagt
28.04.2022 15:47
*im text noch genannt werden
Christiane Portele sagt
28.04.2022 16:05
guter tipp mit dem zeilenumbruch am ende - das probier ich aus - das klingt sehr plausibel
ich spiele noch ein bisschen mit dem text (gründe einfügen...) - mal schauen, was draus wird
danke auf jeden fall für die sehr detaillierte reviwe. martin!
martin fritz sagt
28.04.2022 17:00
sehr gern!