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kritik der tiere

beitrag von: JoernB

Drei goldene Nüsse

Immer wenn es hell wird und ich mich aus dem Schlafbaum löse und den großen Gesang hinter mir lasse, fliege ich zu der Birke vor deinem Steinbaum ohne Äste. Du lebst in dem Baumloch ohne Rundung. Ganz oben, obwohl du keine Flügel hast. Ich kenne dein schnabelloses Gesicht. Ich warte. Ich warte bis du aus der Höhlung kommst und auf dem flachen Ast erscheinst. Du krallst dich nicht fest und fällst doch nicht. Deine Augen stehen so eng, ob du mich sehen kannst? 

Dann hebst du deinen Krallenflügel - er hat keine Federn - und wirfst drei goldene Nüsse ins Gras. 

Ich stürze hinterher, will sie fangen in ihrer Bahn. Es gelingt nicht. Doch ich finde sie schnell. Denn sie schauen mich an aus dem feuchten Grün. Zwei kann ich tragen. Das ist nicht leicht. Ich fliege sie ins Versteck, hoch oben in einen anderen Steinbaum. Dorthin wo die Schnabellosen nie erscheinen. Dann kehre ich zurück, hämmere die letzte Nuss auf und esse die Kerne. 

Morgen sehen wir uns wieder.


(Hier fehlt natürlich leider völlig der Aspekt der Kritik, weil ich mich komplett auf den Perspektivwechsel konzentriert habe, denn das hat mich in einigen anderen Beiträgen angeregt.)

review von: martin fritz

sie haben einen teil meiner review ohnehin schon vorweggenommen mit der bemerkung, dass dem text der aspekt der kritik fehle. ich bin gar nicht sicher, ob ich dem vollkommen zustimmen würde, implizit entwickeln wir leser*innen ja doch eine einstellung zu dem vogel, der hier erzählt. aber natürlich stimmt es, dass dieser aspekt hier nicht im vordergrund steht. das finde ich auch allgemein interessant: einerseits freut es mich, wie hier in der klasse quasi kollektiv der schritt zur annahme der perspektive der nicht-menschlichen tiere immer weiter getan wird, andererseits scheint das tatsächlich dem wertungs- und kritik-aspekt, der der klasse als anfängliche anregung zentral war, vielleicht grundsätzlich entgegen zu stehen. oder wäre auch ein text denkbar, der beides schafft? diese überlegungen gehen jetzt aber schon über den schönen vorliegenden text hinaus, der wie ich finde sehr schön vorführt, wie das einnehmen der vogelperspektive die menschen dezentralisiert, die willkürlichkeit ihres seins und tuns zeigt, und gleich eine rührende anekdote des zusammenlebens der species erzählt (es erinnert mich übrigens an die amseln, die auf meinem balkon im winter sehr ungnädig reagieren, wenn ich mal länger schlafen und sie auf ihre frühstücksrosinen also länger warten müssen). mein wunsch an den text wäre wie so oft eigentlich nur: noch mehr davon. der text weckt einfach lust darauf zu erfahren, was dieser vogel sonst noch erlebt.

wären die drei goldenen nüsse ein anemonenfisch, wären sie ein orangeflossen-anemonenfisch.
Jörn Budesheim sagt
30.04.2022 17:45
danke für die schöne review :) der Kurs ist richtig gut, ohne ihn hätte ich niemals so einen Text geschrieben. Der Dank geht damit natürlich auch an die anderen Schüler:innen der Klasse. Das ist alles sehr, sehr anregend. Eigentlich bin ich jedoch Zeichner und so ein Text ist für mich eine schwere Übung. Ich habe den halben Vormittag dafür gebraucht. Ich schreibe das, weil ich damit dezent andeuten möchte, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich wirklich längere Texte hinkriege :) (ich habe mich dabei auch gefragt, wie es jemand schaffen kann, ein ganzes Buch zu schreiben.) aber das heißt nicht, dass ich es nicht womöglich versuchen werde. Die Geschichte mit den Amseln ist auch sehr lustig und toll, welche Wendung das Wort Vogelperspektive plötzlich nimmt :)
martin fritz sagt
01.05.2022 16:06
freut mich voll, dass sie so viel aus dem kurs ziehen können!

(martin fritz)
Sofie Steinfest sagt
04.05.2022 13:20
Ich wäre überhaupt nie darauf gekommen, dass dieser Text mühevoll geschrieben wurde, oder ihm nicht viel Übung schon vorangegangen wäre. Das soll ein großes Kompliment sein!
Jörn Budesheim sagt
17.05.2022 07:20
Vielen Dank sofiemorin :)