beitrag von: chzureich
sie wühlen doch auch dich auf!
Versuch’ sie doch zu hassen!
Brauchst du die Gründe noch mal aufgezählt, alles schon vergessen?
Die Blaubeere, im vergangenen Jahr erst gepflanzt: von unten komplett angefressen, du pflückst den Stecken aus dem Erdreich, keine Wurzel, die mehr festhält im Waldbeet, das du so sorgsam angelegt.
Der Blutampfer, prächtiges Gewächs, von Hand gezogen aus winzigen Samen? Zwei müde Blätter sind noch übrig, und wie du hinkniest, um das Gemetzel zu erfassen, verkriecht eines davon sich in den Boden, du hörst Schmatzgeräusche, wie zum Hohn.
Die Haferwurzeln, die du nicht geerntet hast im Herbst, obwohl ihr feines Austernaroma du gern isst als Veggiekrustentier? Du hast sie stehen lassen, weil erst im zweiten Jahr sollen sie schön erblühen und die Bienen sie sehr lieben. Ob das stimmt? Wirst du nicht herausfinden. Jedenfalls nicht heuer. Nur noch Grünstümpfe, furchtbar ätzend. So macht schrebern wirklich keinen Spaß!
Du hast es milder schon versucht, statt vollen Herzens sie zu hassen: eine Windklapper gebaut aus alten Flaschen, Eisenstäben, weil, so hieß es, sie geräuschempfindlich sind. Vermutest aber, das Geklirre könnt Musik sein in ihren runden Ohren. Etwa wie die alten rizinusgetränkten Lappen, die du in 27 runde Löcher gestopft, eingegangen sein werden in den Nestbau statt sie olfaktorisch zu schrecken. (1 Liter Rizinusöl aus der Apotheke, Großgebinde, man schaute dort dich seltsam an). Sie sind jedenfalls geblieben, haben Fortpflanzung betrieben, es werden quasi stündlich mehr. Inzwischen klickt und fiept ein Gerät vom Profi alle paar Minuten, ein lästiges Geräusch, induziert Stress auch in dir selber. Die Viecher, sie vertreiben dich aus deinem Gärtchen Eden!
Ja, noch ärgerlicher als Schnecken, jetzt denk doch nach, du musst sie einfach hassen! Konsequent sein, endlich klar: kauf Chemie, oder besser noch die Selbstschußanlage en miniature aus dem Gartenkatalog für in ihre Gänge, die reizt dich doch, gibs zu, als Gimmick? Das Fell könntest du ihnen abziehen hinterher und als Trösterchen nutzen wie das Maulwurffell, dass der Nachbarsbauer dir mal schenkte, Jahre her, als Kind. Zeit, die Unschuld endlich wieder zu beenden!
Wie? Nein? Nicht vereinbar mit deinen Werten? Irgendwie zu süß, und putzig mit ihren blanken Äuglein, den vielen nackten Babys, schutzlos und doch auch gern am Leben?
Na, dann denk halt in anderen Bahnen, biblischer! Gleiches mit Gleichem, Tier um Tier. Besorg dir endlich einen Murrli, bring die Katzastrophe über sie! Immer noch humaner als Chemie.
Und bedenk bei allem Skrupel: Pflanzen sind doch auch Lebewesen. Mal daran gedacht, du? Wie?
review von: martin fritz
wer kennt nicht den zwiespalt, den der text entfaltet, dazwischen einerseits allen lebenwesen ihr leben zu gönnen und andererseits der sorge um das wohl der selbst angebauten pflanzen (ich kenne das selbst von dem tomatenpflanzen, die im sommer immer am balkon wachsen lasse, bei denen auch meine empathie allen lebewesen gegenüber, die ihnen schaden, letztendlich vollends aussetzt). und ich habe immer schon ein faible gehabt für texte in der du-perspektive, die hier auch sehr gut funktioniert, um den beschriebenen zwiespalt auszubreiten. was ich bei anderen texte häufig eingeklagt habe, eben die wertung und kritik von tieren, steht hier im vordergrund, und das eben in der angemessenen komplexität, die nicht ohne ein einerseits-andererseits auskommt. mir fallen hier fast keine möglichkeiten zur verbesserung des textes ein, das beginnt schon mit dem großartigen titel, der aufzeigt, wie das emotionale aufgewühlt werden eigentlich ja eine metapher ist. als einziges detail würde ich vielleicht bei "weil erst im zweiten Jahr sollen sie schön erblühen" entweder die wortstellung oder die präposition ändern, also "weil sie erst im zweiten Jahr schön erblühen sollen" oder "denn erst im zweiten Jahr sollen sie schön erblühen".
wäre der text ein anemonenfisch, wäre er ein sattelfleck-anemonenfisch.