sie sind hier: startseite / alle beiträge / Was Pilze nicht sind (Auszug, weil versehentlich ists viel zu lang geworden für hier)

kritik der tiere

beitrag von: SofieMorin

Was Pilze nicht sind (Auszug, weil versehentlich ists viel zu lang geworden für hier)

Der Titel ist falsch. Pilze sind mitnichten so sehr davon bestimmt, was sie nicht sind, als wir uns das so über sie denken. Pilze sind einfach. 
Die menschengemachte Verortung ihrer Zunft in der Schwebe zwischen Tier- und Pflanzenreich belächeln sie bloß. Und weil ich von Pilzen lieber nicht belächelt, sondern geachtet sein will, stelle ich sie mir als das vor, was sie, gleich nachdem sie einfach nur sie selbst sind, zugleich sind: am ehesten Tiere. 
Ja, ich stelle mir vor, dass ich – als Zoologin, das ist sicherlich der peinliche Witz an der Sache – mich zur Verfechterin des animalischen Charakters der Pilze aufwerfe, sie somit gewissermaßen für mein Forschungsgebiet beanspruche, wenn schon nicht für mich. Und mit dieser Formulierung sind wir ja bereits inmitten des Kerns dieses Pudels, der die Pilze sind, gelandet: Ist es eine Frage des Charakters, sich als Pflanze oder Tier behaupten zu können? 
...
Zweitens: Wir verstehen uns selbst, mit unserer vermeintlich sicheren Einordnung nicht irgendwo, sondern ganz genau an Spitze* des Tierreichs. Verstehen uns als Spitzenreiter allein befugt all diese Unterscheidungen der Reiche festzuhalten wie Zügel in unserer Hand. Leider haben wir kein Reittier, das sich für einen derartig unsinnigen Ritt hergibt, als die Wissenschaft, und die, seien wir uns ehrlich, gehörig lahmt in letzter Zeit. Und wo bitte sollten wir auch hinreiten von einer Spitze aus? Als ob ein Abgrund bereit wäre uns gnädig aufzunehmen. (*Ungeachtet der vielfältigen Beweise durch Oktopusse, Knallkrebse, Medusen, Graumulle, Bonobos und viele andere mehr, dass es sich um gar keine Spitze, sondern eine stumpfe Fläche handelt, Hochplateau bestenfalls, an dessen Rand wir auch noch Platz haben, oder so.) 
...
Viertens: Die Nähe ist überwältigend. Durch meine Atemwege ziehen Sporen, meine Schleimhäute sind kaum vom Pilzgeflecht zu unterscheiden, mein Geist ist von etwas durchdrungen, das sich getrost Ehrfurcht nennen kann, die ich besser auch in andere Lebensformen investieren würde. Aber ich kann nicht anders, die Pilze habens mir angetan. Zu Zeiten meines Studiums war die Aufgeschlossenheit der Zoologie diesen erstaunlichen Wesen gegenüber nicht gereift. Literarisch aber, mag ich sie ausbeuten wie ich nur will, schreibe über sie als: „Geflecht aus Hochmut und verwegenen Träumen. Und keiner gleicht sich. Hörnling bestimmt die Nuancen meiner Regungen je, Erdsterne verklären mir die Zukunft, Morchel kleidet meinen Stolz innen aus. 
...
Sechstens: Das, was Pilze nicht sind, habe ich nicht beantwortet und bins zufrieden damit. Einigen wir uns darauf, dass die Grenzziehungen von immenser Wichtigkeit für uns sind, um unseren Status und unsere Lebensweise aufrechtzuerhalten. Und dass die Pilze vermutlich darum wissen. Erkleckliche Teile der Welt sind mit unseren Machenschaften überzogen, nur dort und da begreifen wir etwas, vielleicht einen Hauch, vielleicht die Neigung zur Symbiose.

review von: martin fritz

was für ein schöner text nochmal zum abschluss, wie viele schöne, erkenntnisfördernde, anregende bilder! dass und warum und wie pilze in der tier-klasse ihren platz haben, reklamiert sich der text ohnehin selbst zurecht, dazu muss ich also gar nicht mehr sagen. und ich kann da so vielem zustimmen, gerate bei pilzen selbst so oft an die grenzen meiner kenntnisse und vorstellungskraft und lerne so gerne immer wieder neues über und durch sie. auch das offensichtliche sei nochmal benannt: wie der text die dezentrierung der menschenperspektive schon fast selbstverständlich nimmt, was schon beginnt bei der markierung von definitionen, von bestimmungen durch abgrenzung, durch nicht-sein statt durch sein, als beliebige menschliche setzung. zwei anregungen noch: das hochplateau, das das bild der spitze ersetzen soll, trägt ja immer noch die (wertende) unterscheidung von höhe und tiefe in sich - wäre dem pilz-text nicht eine perspektive näher, der solche setzungen überhaupt ablehnt? der zweifel klingt im so gut gesetzten "bestenfalls" eh bereits an. wie könnte das noch weiter gehen (und ist auch "weiter" eine hinterfragenswerte räumliche metapher?)? das zweite ist die lahmende wissenschaft: da würde ich persönlich gern noch eine interne differenzierung einziehen, insofern ich persönlich denke, es sind teile der wissenschaft, die lahmen, die von den geschilderten unzulänglichkeiten korrumpiert werden, aber nicht die wissenschaft als ganzes. jedenfalls danke für diesen text und gerne würde ich ihn auch nicht nur auszugsweise lesen, dann halt außerhalb des rahmens unseres klasse.

wäre "was pilze nicht sind" ein oktopuss, wären sie octopus superciliosus.
Sofie Steinfest sagt
04.05.2022 18:35
Ich bin jetzt wieder arg geschmeichelt. Und gerührt auch, denn es sind wirklich dieselben zwei Punkte, wo ich auch selbst noch Probleme mit meinem Text hatte. Ja, ich find auch, das muss noch deutlicher werden, wie sehr die räumlich Metapher hinkt und auch wie wenig die Pauschalisierung der Wissenschaft gerecht wird. Hier hab ich halt arg mit Zeichen gegeizt. Gern behellige ich Sie, z.B. via Instagram mit dem Gesamttext dann. Ganz lieben Dank noch für diese so einfühlsam geleitete Klasse! Sofie