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kritik der tiere

beitrag von: mindL

Betreff: "Zeckenkaviar"

Werte Damen und Herren vom Ö1-Kundendienst, 

hoffentlich bin ich hier richtig, es ist - nebenbei bemerkt! - sehr schwer, mit Ihnen in Kontakt zu treten!!) Seit mehr als 43 Jahren gehören meine Gattin und ich zu treuen Hörern ihres Programms. Besonders gern beenden wir unser Frühstück mit der sehr instruktiven Reihe "Vom Leben der Natur", in der durchaus auch die Schattenseiten von Fauna und Flora beleuchtet werden. Die heutige Ausgabe hat uns aber sehr empört und mich dazu gebracht, den ersten Hörerbrief meines Lebens an Sie zu richten. 
Da berichtet ein Parasitologe vom gemeinen Holzbock und sagt dann: "Das Liebesspiel der Zecken kann man nicht wirklich als romantisch bezeichnen." So schnell kann ich zu meiner Gattin gar nicht sagen, "Hilde, dreh schnell ab, wir essen noch!", da schildert Dr. Duscher schon in aller Deutlichkeit, wie sich das Männchen mit dem ganzen Oberkörper in die Geschlechtsöffnung des Weibchens hineinbohrt! Dann fallen auch noch BEgriffe wie "Zeckenkaviar" und dergleichen. Muss das sein? Damit meinen wir nicht nur die ansonsten so tadellose Berichterstattung seitens des Ö1, sondern die Zecken an sich. Ein Wesen, das sich so aufführt, muss ja nicht als Teil der Mitschöpfung krampfhaft erhalten bleiben. Wir haben viel Verständnis für Tiere, tragen uns sogar mit dem Gedanken, ein Vogelhaus für den Balkon anzuschaffen, Zeit haben wir dafür ja jetzt in der Pension. Aber die Zecke an sich, da sagen wir nur: "Überlebenskünstler? Leider!" 

Hochachtungsvoll
Mag. Karl Ludwig Ginterseder 

review von: martin fritz

das tier namens "Mag. Karl Ludwig Ginterseder" ist eine ausgesprochen glaubhaft entwickelte figur. dass mag. ginterseder nicht etwa sagt "hilde, BITTE, dreh schnell ab" ist von einer zwingenden notwendigkeit, die eine so kurze prosa erst einmal entwickeln muss, aber dass herr mag. karl ludwig ginterseder hier seinen ersten hörerbrief schreibt - das kann er dem ö1-kundendienst erzählen, aber nicht mir. diese person ist eine wandelnde hörerbrieffabrik und sicher auf der schwarzen liste der anrufenden bei "punkt 1", die unter keinen umständen jemals live auf sendung durchgestellt werden dürfen. und womit? mit recht! denn bei aller konsternation über die schilderung der gepflogenheiten der holzböcke (ich hab da übrigens heute auch das radio abdrehen müssen): tiere zu shamen für ihr sexualleben und ihnen ihr existenzrecht abzusprechen, das geht zu weit. mir tut hilde leid, die diesen hörerbrief vermutlich diktiert bekommen hat und sicher allein den dreck von vogelhaus wegräumen wird müssen und ich freue mich schon sehr darauf zu erfahren, was der herr magister vom thema von "vom leben der natur" der nächsten woche halten wird.

wäre dieser hörerbrief ein anemonenfisch, er wäre ein falscher clownfisch.
Manuela Bibrach sagt
21.04.2022 11:10
einfach nur köstlich! ich kann es gar nicht oft genug lesen. das review übrigens auch...
Jörn Budesheim sagt
28.04.2022 06:47
Wunderbar, Text und review!