beitrag von: SofieMorin
Der Hund wo er fehlt
Der Hund an und für sich – denn seien wir uns ehrlich, über all die Auswüchse seiner Züchtungen hinweg, gibt es im Grunde genommen nur den einen – fehlt. Zwar nicht nur dort, wo er ist, aber insbesondere ebenda. Dieses Vieh hat sich ins Mythologische eingeschrieben, das meine Suchbewegungen anfüttert. Es gibt mir keine Ruhe, bis es nicht an feuchtschnauzigen Ausschmückungen satt ist. Insofern ist da ein Hund, der mich in allem begleitet.
Und es kann keinen Hund neben dem, der mir an meiner Seite fehlt, geben.
Die Verführung der Artenvielfalt hat meinen Blick ausgerichtet: ins Waldleben. Am Saum der Lichtung verlässlich ein weißer Hund. Er kennt keinen Anstand und verbellt meine Kindheit wie eine ungeliebte Konkurrenz. Ich mag gewachsen sein und dies und jenes verstanden und noch mehr wieder vergessen haben, doch es war nie vorgesehen, dass ich diesen Hund je loswerde.
Und bei allem kann es keinen Hund als einen geben.
Da die Scham ein Körper ist, den ich nicht mehr bewohnen will, habe ich mich zeitweise hinter dem Hund versteckt. Damit ich nicht so sehr als ein von ihm getrenntes Ich auffalle. Heute weigere ich mich, sie weiterhin zu siezen, einerseits. Andererseits will ich dem Hund meine Scham nicht mehr aufbürden. Also haben wir sie in eine Schale gefüllt, unsere Köpfe Seite an Seite darüber, und verleiben sie uns genüsslich ein.
Und es kann keinen Hund neben dem an meiner Seite geben.
Katzen verstreichen sich um Ecken und tun dabei nur so, als wären sie mit uns bekannt. Wenn sie frühmorgens über meine Bettdecke stapfen, reicht ihr Pfotenabdruck kaum bis an meine Haut. Jedenfalls trägt mein weicher Bauch keine Spur davon, und der Hund schnauft im Schlaf als wäre nichts. Allerdings hat sich mein Hund gut mit dieser weißen Katze verstanden, die taub war und Mimikry betrieb. Er mag sie für einen Welpen gehalten haben und sie sich selbst für eine verunglückte Göttin.
Und der Hund – insoweit es ihn überhaupt alssolchen gibt – fehlt.
Heute ist er immer schon hinausgelaufen, bevor ich meine Augen öffnen kann. Bis ich hinschaue, tobt in meinem Vorgarten ein ganzes Rudel von ihm. Im Kopfpolster hängt noch der Geruch seines Fells, also bleibe ich liegen, solange ich kann und lausche dem Atem, der mir nicht gehört. Es gibt aber den Nachbarshund, der wie ein räudiger Traum wiederkehrt. Und es gibt die Angst, die mich dann knurrend bewohnt. Wohlig geborgen unter der Hundehaut verschlafe ich sie.
Und der Hund alssolcher fehlt.
Hündische Herzen und treusorgende Blicke haben seine Notwendigkeit nicht weichen gemacht, daher ist das Fehlen ihm eingeschrieben, wie nichts sonst. Keine Fellfarbe, kein Name ins Halsband graviert, kein hochmütiger Tadel, keine demütige Bewunderung kann dagegen etwas aufbieten. Diese Gewissheit ist ein immenser Schmerz und zugleich mein größter Trost. Als Widerlager des Menschlichen agiert der Hund im Ausgesprochenen, wo das Geheimnis seine kühnste Tarnung besitzt. Sagt: Hier bin ich!
Und der Hund fehlt.
review von: martin fritz
ich finde es wunderschön gearbeitet, wie (zumindest so wie ich den text lese) die beziehung zwischen dem "ich" und dem hund (und den katzen) im zentrum des textes steht, und nicht eines dieser tiere. sehr gut passt dazu das tröstend-melancholische der an/abwesenheit (anwesenheit in der abwesenheit und umgekehrt) des hundes. und wie fein das bis in die details hineingeht! wie das "alssolchen"/"alssolcher" kein tippfehler, sondern so wie der nicht fehlende beistrich hinter dem hund wo er fehlt eine markierung des fehlenden platzes ist? das ist jetzt aber alles mehr überschwängliches lob und begeisterung als hilfreiches feedback, als fragen danach, was mir noch fehlen könnte an diesem text über den hund der fehlt, oder ob mir wo etwas zu viel sein könnte. ich denke, ich muss noch einmal darüber schlafen, schauen, ob morgen (k)ein pfotenabdruck auf meinem weichen bauch mir eine neue spur in den text hinein gelegt haben wird.
wäre, so viel weiß ich aber jetzt schon, wäre "Der Hund wo er fehlt" ein anemonenfisch, er wäre thielles anemonenfisch.
erstens: könnte im sinn der aufgabenstellung der klasse noch deutlicher eine wertung der beziehung zum hund artikuliert werden, eine art dank (lob klingt hier viel zu paternalistisch) für sein hier-sein (wo er fehlt)?
zweitens: was hat eigentlich der hund davon, die weiße katze? was geht z.b. durch den kopf des hundes, wenn er da kopf an kopf an der schale sich genüsslich die scham einverleibt? oder präziser: was denkt das ich, dass der hund sich denkt? oder wäre schon das thema eines anderen texts? ich würde es jedenfalls gerne erfahren.