beitrag von: CarlaRB
die ödipus_frei von sophokles 3
die körpersprache der frau
drehbühne dreht.
die ödipus steht drauf und wird mitgedreht
chor der doppelhinkerinnen
die ödipus hinkt also zur therapeutin
sie hat ihre praxis in einer oberen etage
es ist ein ersttermin
die ödipus fährt im fahrstuhl sie
setzt ein lächeln auf die ödipus
lächelt viel
der kiefer fehlbelastet vom zähneknirschen macht nichts sieht keiner
hauptsache lächeln
der rücken gerade die beine steif
der kiefer zermahlt den zorn
zwischen den beinen
drehbühne kommt zum halt, dreht dann rückwärts.
while waiting erinnert sie sich an
letzte nacht:
im traum kam der nachbar zu ihr mit einem buschmesser er
bricht (immer wieder) ein während sie schläft
er würgt die schlafende das messer bleibt am oberschenkelholster (jedes mal)
er würgt lieber das messer ist nur für den notfall da wer weiß vielleicht wehrt sie sich irgendwann dann doch
sie hat sich (wieder) nicht gewehrt stattdessen
wachte sie auf eingekeilt
zwischen dem morgen und den schenkeln einer iokaste
die sie gestern erst kennengelernt hat
sie denkt: vielleicht könnte ich damit die therapiestunde anfangen
drehbühne kommt zum halt, dreht wieder vorwärts.
die ödipus sitzt im wartezimmer
ihr name wird gerufen
bitte sprechzimmer nummer
sie zieht den rock zurecht streicht das haar glatt
lächelt immer noch
(auf der webseite ihrer datingapp:
achtung: nimm die körpersprache der frau bewusst wahr. erreicht ihr lachen nicht die augen oder presst sie die lippen aufeinander, ist sie desinteressiert)
review von: ferdinand schmalz
(Hallo,
kurz allgemein: Entschuldigt die Verzögerung. Hab die letzten Tage leider krankheitsbedingt im Bett verbringen müssen. Drum war hier Funkstille meinerseits. Mittlerweile gehts mir aber wieder besser und ich fühl mich auch wieder einigermaßen klar im Kopf!
Ganz liebe Grüße)
Mich interessiert dieses Beschreibung, des Körpers mit all den Einschreibungen und Einschränkungen. Ein Körper der hinkt unter all denn Begradigungsversuchen und Orthopädischen eingriffen. Musste gleich auch an Donna Harraways Cyborg Manifesto denken. Der Körper als ein immer schon Künstlicher, auf dem sich die Spuren der Gesellschaft auf teils verheerendem Maße in die Oberfläche eingravieren oder tätowieren. Man könnte versuchen, hier noch eine planetarische Perspektive aufzumachen. Wie geht die Zerstörung des Körpers mit der Zerstörung des Planeten einher.
So körperlich ich die Beschreibungen des Chors inhaltlich finde so unkörperlich, reflektierend finde ich die Sprechweise selbst, was die Form anlangt. Wie könnte man stilistisch eine größere Körperlichkeit in ihrer Sprechweise verankern? Wie könnte das Sprechen auch hinkender werden, unordentlicher, anarchischer? Das hat jetzt noch so ein bissl was von einem Brechtschen Lehrstück. Vielleicht bräuchte es aber noch ein bisschen mehr Sprachzerstückelung.