sie sind hier: startseite / alle beiträge / Nicht anders II

sie hat gesagt, dass er gesagt hat, dass sie gesagt hätte ...

beitrag von: KaetheBlasberg

Nicht anders II

Wohnungstür
Bäckerin: Herr Schwöbel, Sie waren doch am Gericht tätig.
Herr Schwöbel: Ja, dreißig Jahre Protokollant am Landgericht.
Bäckerin: Sie kennen sich aus. Was kann man in so einer Situation tun?
Herr Schwöbel: Solange nichts passiert, kann man überhaupt nichts tun.
Bäckerin: Nichts pas­siert? Was bit­teschön muss noch passieren? Muss der uns erst beklauen,d ie Fens­ter einschlagen oder sich an unse­ren Kindern ver­gehen?
Herr Schwöbel: Das wären jedenfalls eindeutige Straftatbestände.
Bäckerin: Wie bitte? Ich habe geglaubt, ich lebe in einem Rechtss­taat!
Herr Schwöbel: Aber das tun Sie. Das hier ist auf jeden Fall ein Rechtss­taat.
Bäckerin: Na besten Dank!
Hauseingang
Bäckerin: Und?
Frau Jenner: Unverändert. Der steht und steht da, reglos und mit zuen Augen.
Mir spukt seit Mittag ein Gedanke im Kopf herum. Wie soll ich es nur ausdrücken?
Bäckerin: Einfach raus da­mit, wird schon nicht so schlimm sein.
Frau Jenner: Also, … ich frag mich, was ist, wenn ihm die Natur kommt?
Bäckerin: Die Na­tur kommt? Was meinen Sie?
Frau Jenner: Muss ich noch deutlicher werden?
Bäckerin: Wenn Sie verstanden werden wollen, müssen Sie sich klar ausdrücken.
Frau Jenner: Was, wenn er pissen oder schei­ßen muss?
Bäckerin: Um Himmels willen!
Frau Jenner: Vielleicht verschwin­det er dann endlich.
Bäckerin: Glauben Sie das im Ernst?
Frau Jenner: Ehrlich gesagt, nicht.
Bäckerin: Ich glaubs auch nicht. Ich glaub eher, dem ist zuzutrau­en, dass er unter sich lässt.
Frau Jenner: Oh mein Gott!

review von: ferdinand schmalz

Die Figuren werden immer plastischer. Allein schon die sprechenden Namen lassen die Figuren ein bissl wie KleinbürgerKarikaturen erscheinen, ein bissl die Gefahr ist es bei solchen Figuren, dass man sie etwas verrät wenn sie zu sehr ins komische kippen lässt. Aber ich denke du bist da eh auf einem guten Weg. Ich versuche halt immer jeder Figur auch wenn sie noch so lächerlich ist, einen Moment zu geben, wo man merkt warum die so handeln wie sie eben handeln. Bei der Bäckerin könnte ich mir vorstellen, dass es da einen Moment geben könnte wo man mitkriegt, dass ihr laden eh etwas schleppend läuft. Und jetzt auch noch ein Gebäckdisounter ums eck oder so. da ist jede scheinbare Gefahr auch schon zuviel.
Man merkt schon das mit den beiden Szenen, dass sich da ein größerer Erzählhorizont auftut. Das hätte glaub ich Potenzial für ein größeres Stück. Mit dem Luther-Zitat hast du ja schon einen Religiösen Kontext aufgemacht. Ich könnte mir vorstellen, dass nach der anfänglichen Ablehnung des könnte eine Verehrung des einsamen Stehers stattfinden. Im Mittelalter hat es ja auch die Tradition der Säulenheiligen gegeben. Die ja auch nicht viel mehr getan haben, als da sein. Auf einer Säule sitzen und sich den Gläubigen präsentieren. Eine moderne Version des Säulenheiligentums hat Christoph Schlingensief mal beim Steirischen Herbst in Graz Inszeniert. Da hat er Obdachlose auf Säulen gesetzt in den Reaktionen gingen die Wogen auch ziemlich hoch, was ich mich erinnern kann. Könnte auch eine ergiebige Recherche sein, sich da nochmal in die Medienberichte reinzulesen.
Doris Brockmann sagt
20.02.2023 14:52
Ganz herzlichen Dank für die ausführlichen Kommentare! Ich hätte noch ein 3. (4.?) Teil aus dem Komplex, wollte es hier aber nicht zu monomanisch treiben (na, jetzt vielleicht doch). Komplexe Figurenzeichnung ist in jedem Fall wichtiger Hinweis, gerade bei Stücken, die bisschen an Volkstheatertraditionen anschließen, wie ich es hier wollte/will - immer die Gefahr, dass sie im Sich-über-sie-lustig-Machen zu banalen Schießbudenfiguren werden. DAS. WOLLLEN. WIR. NICHT!