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sie hat gesagt, dass er gesagt hat, dass sie gesagt hätte ...

beitrag von: alterlaa

Familie II Version 2

Papa, wir müssen los.
Ist es kalt draußen?
Nein, es hat Plusgrade. Komm, der Supermarkt sperrt zu. 
Ja. Friert es draußen?
Nein, gar nicht. Hast du deine Einkaufsliste? 
Ja. Also egal was du sagst, ich glaube, es wird kalt heute. Ich nehme den Schal.
Wie du meinst. Nimmst du die blaue Tasche?
Ja. Sag deiner Mutter, sie soll eine neue Tasche kaufen, die hier ist ausgefranst.
Okay. Können wir jetzt gehen?
Ich warte noch auf den Download
Welchen Download?
Deine Mutter will doch diesen Download, diesen Pflanzenratgeber…
Mama hat uns doch verlassen!
Red nicht solchen Unsinn! Warum soll sie uns verlassen haben? Sie wohnt hier! 
Erinnerst du dich nicht, Papa? Letztes Jahr? Kurz vor Weihnachten?
Warum redest du solches Zeug? lass mich in Ruhe mit deinen komischen Ideen! 
Schon gut, Papa…
Komische Ideen! Ich habe euch junge Leute immer unterstützt, aber ich kann euren Gedanken nicht mehr folgen. Will es auch gar nicht.
Beruhig dich, Papa.
Ihr wisst immer alles besser. Lauter Blödsinn…
Weißt du nicht mehr? Mama war krank. Dann war ihr Begräbnis…
Ach ja! Dieses Begräbnis! Es war so ein kalter Tag …
Jetzt erinnerst du dich, nicht wahr?
Die Tasche ist ausgefranst. Frag deine Mutter, wann sie eine neue kauft, mit mir spricht sie ja nicht!
Klar doch. Ich sage es ihr. Komm jetzt. Wir brauchen Milch, Brot, Spülmittel und eine Packung Windeln.
Ich brauche keine Windeln!
Nur für die Nacht, und es ist okay. 
Ist es…
Kalt draußen! Saukalt! Minus 50 Grad. Das ist uns aber wurscht. Jetzt komm!



review von: ferdinand schmalz

Wenn jemand dement wird, das Erinnern nicht mehr so funktioniert, wie es eigentlich sollte, ist das eines der Schlimmsten Dinge, die man sich vorstellen kann. Oft kriegen die Betroffenen selbst nicht viel davon mit, dann trifft es eher das Umfeld. Die wahre Tragödie dahinter liegt aber in dem Momenten, wo die Betroffenen doch einen Eindruck davon kriegen, dass sie sich nicht mehr richtig Erinnern. Das kann bei vielen zu Angst, Desorientierung, und Panikattacken führen. Niemand kann, glaub ich, wissen wie es wirklich ist, sein eigenes Ich als derart inkonsistent wahrzunehmen. Trotzdem müsste der Versuch eines Dramatischen Textes, der sich mit Demenz auseinandersetzt, genau das versuchen, es uns nachvollziehbar machen, diesen radikalen Identitätsverlust. Hier ist genau dieser Moment, wenn er erfährt, dass er die eigene Erinnerung an den Tod der Partnerin vergessen hat, dass er in einem Leben lebt, das er nicht mehr kennt, verspielt. Da geht er dann schnell auf das Klischee des Alten, der den Jungen blöde Ideen unterstellt. Man müsste da in diesen Moment einen Einblick gewinnen. Was passiert da genau. Konsequenterweise müsste an einem solchen Punkt, weil wir es uns einfach auch nicht vorstellen können, wie es ist, die dramatische Form einen Bruch erleben, weil die platte Einfühlung, ich tue jetzt als ob ich einen Persönlichkeitsverlust erlebe einfach viel zu kurz greift.