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lustige tode

beitrag von: soho

Ladenhüter

Die bunten Strasssteine auf der Jeansjacke zwinkern mir aus der Auslage zu, als ich vorbei schlendere. Jährlich freue ich mich auf den Sale, wenn die Jacke erscheint. Der Preis wird ein paar Mal nach unten angepasst. Mitte August, ist er da. Der Tiefstpreis. Ich weiß das, weil ich die Jacke seit Jahren liebe. Im Herbst die Trennung, wenn die Jacke verschwindet. Heuer ist etwas anders. Es ist September und meine Jacke noch da. In der Perücke des Mannequins wuchern Spinnweben. Am Boden tote Fliegen. Ich ahne die Inhaberin hinter einem Rayon randvoll mit bunten Kleidern. Wie auch gestern sitzt sie im Dunklen am Schreibtisch, die Füße hochgelagert, der Kopf zur Seite geneigt. Ich glaube, sie schläft tatsächlich im Dienst. Die Wut steigt, ich reiße die Tür auf und stürme auf sie zu. Nicht einmal die Augen öffnet sie, sitzt nur da, blass, steif. Ich stoße sie mit einem Finger und sie fällt zu Boden. Ist sie…? Kurz halte ich inne, dann siegt die Sehnsucht und ich eile zu meiner Jacke.

review von: rebekka kricheldorf

eine bizarre geschichte. man fragt sich gleich, was für ein laden das sein muss, in dessen schaufenster jahr um jahr dieselbe jacke hängt. und auch noch jeans mit strass! das ganze ambiente vermittelt stark den eindruck, als habe es dort spinnweben und tote fliegen schon vor dem ableben de inhaberin gegeben... das verhältnis vom erzählenden ich zur jacke bleibt etwas unklar: wenn die obsession so groß ist, warum hat er oder sie die jacke nicht schon vorher gekauft? und warum ist die wut so groß, dass sie im september noch dort hängt? na ja, vielleicht, weil's die persönliche neurotische chronobiologie durcheinanderbringt...
Sonja Holm sagt
12.06.2024 19:59
Danke für die Rückmeldung und die Überlegungen.