ich sitze im zug. froh allein im abteil zu sein. da pflanzt sich eine frau vor mir auf. sie spricht mich an. eine performance, denke ich. ihr gelaber ist aggressiv. ich hoffe den konduktor herbei. befreit will ich sein.
'ich fress dich auf. mir entziehen kannst du dich nicht. ich nehm dir die luft zum atmen.'
in mir steigt wut auf. ungeduld. angst. die sprechende ist die ruhe selbst.
'ich bin die vampirin deines lebens. ich habe mich dir einverleibt. all die tage. all die nächte. am stärksten bin ich dazwischen. ruhe gönne ich dir nicht.'
stör mich nicht. hau ab. will ich ihr entgegen werfen. es gelingt mir nicht.
'ich beraube dich deiner selbst. laut lache ich über dich. dein scheitern ist meine lust.'
die geduld der störefriedin bringt mich an grenzen.
'ich mische mich in alles, was dich ausmacht. stille mich an deiner einsamkeit. bin eingezogen in dein denken, in all deine welten. in dir ist mein zuhause.'
ich schwitze. friere. schreien möchte ich. ihr an die gurgel springen.
'ich gleiche dich mir im hass, der gewalt an. ich habe dich schlagen gelehrt. ich zerstöre jede deiner hoffnungen ins nichts.'
wer ist das? was will sie?
'trauer kann dich nicht mehr retten. liebe nicht lebendig halten. meine leere lasse ich über dich regnen. rastlos hab' ich dich zur zerstörerin deiner selbst gemacht. deine schreie bleiben stumm.'
die wanze findet keinen punkt. dann verschwindet sie.
ich weine. verstört trete ich gegen die zugtür.
review von: Angela Lehner
Als ob Small Talk auf Bahnfahrten nicht schon schlimm genug wären, spielt in diesem Beitrag hier sogar noch eine Horror-Erzählung.
Was passiert hier "wirklich"? Wer spricht hier eigentlich und mit wem? Ist die Mitfahrerin eine uns unbekannte Person oder die Nahestehendste überhaupt?
Der Text entzieht sich einer Interpretation und doch scheint er verborgenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Die Erzählerin wird immer wütender, tritt am Ende sogar verzweifelt gegen die Abteiltür.
Worte wie "kafkaesk" kommen in den Sinn, ich fühle mich durch die antiquierte Wortwahl stellenweise an die Schachnovelle erinnert.
Spannender erzählerischer Kniff: Die Vertauschung von Dialog- und Interpretationsebene.
Alles super zum Analysieren, auf längerer Strecke aber evtl. frustrierend für Lesende.
Lesetipp: Ariane Koch - Die Aufdrängung
samya hamieda lind
sagt
10.10.2024 22:18
danke für die rückmeldung. danke auch für den literaturtipp.
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