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wut und wutausbrüche

beitrag von: felsmarie

Ein hungriges Tier II

Dreh dich endlich zu mir um, dachte sie und kaute auf ihren Nägeln. 
Beim Hereinkommen hatte er sie schließlich bemerkt. Ein lautloses Hallo kam ihm nur über die Lippen, sonst nichts. Klar.
Sie lugte zu ihnen hinüber, nun die Hände zu Fäusten in den Taschen geballt. Ihre Muskulatur, hatte der Physio in der letzten Stunde gemeint, sei sehr stark verspannt. 
Sie versuchte locker zu lassen. 
Warum endete denn das Gespräch nicht? Was war denn so wichtig? 
Jetzt warf er sich auch noch das Haar über die Schulter und lachte, wie so ein wieherndes Pferd. 
Ihr unteres Lid begann zu zucken. Sie wagte sich nicht zu bewegen, die Fäuste schmerzten jetzt richtig in den Jackentaschen. 
Die Muskulatur, dachte sie mit der Stimme ihres Physios, sie müssen mal entspannen, mal weniger Stress, mal Sauna. 
Sie biss ihre Zahnleisten fest zusammen. Sauna! Ihr Blick wich nun nicht mehr von den beiden. Wie albern er da stand, auf einem Bein und das andere so angewinkelt. 
Blöder Flamingo! 
Sie atmete tief ein, hielt die Luft vier Sekunden an und atmete lange aus.
Yoga, hatte der Physio gesagt, das würde mit Sicherheit helfen.
Plötzlich drehte er sich doch zu ihr um, ging auf sie zu und sagte: Na. 
Wie, na? 
Er lächelte und berührte sogar ihren Arm, als sei überhaupt gar nichts. 
Na?
Sie dachte an die überkochende Milch von heute morgen und bemerkte den Schaum vor ihrem Mund.
Yoga!, schrie sie ihn an, schloss den Reißverschluss ihrer Jacke und ging.

review von: Angela Lehner

Die Beschreibung eines - sich fast gänzlich innerhalb der Figur - abspielenden Wütendwerdens. Erinnert vom Prinzip ein wenig an Watzlawicks "Geschichte mit dem Hammer". Für den/die Lesenden entsteht durch die Multiperspektivität unweigerlich Komik: Er/Sie erlebt ja gleichzeitig den Druck unter dem die Figur selbst steht, erahnt aber bereits gleichzeitig, dass die objektive Wahrheit eine andere sein mag. In diesem Spannungsfeld lacht der/die Leserin plötzlich. Besonders Gelungene Wutszenen lösen also nicht notwendigerweise ein wütendes Gefühl bei den Rezipient*innen aus. Diese Verschiebungen machen Literarisches Erzählen u. a. so spannend.

"Sie versuchte locker zu lassen" - vielleicht der wütendste Satz im ganzen Text. Die Figur versucht gegen die eigene Gefühlswelt anzukämpfen und steigert sich dadurch nur noch mehr hinein. Ein Brandbeschleuniger für die Wut. 

Der Text eskaliert am Ende - ich nehme an, wegen der kurzen Form der Übung? Rein stilistisch könnte die innerlich wabernde Wut der Figur problemlos auf längerer Strecke funktionieren.

Gern sparsam mit Metaphern umgehen. Verlass dich auf die Stärke des unmittelbaren Erzählens. Unnötige Schnörkel verwässern prägnante Beschreibungen. Der Text endet nicht mit der Milchschaum-Metapher, sondern mit "Wie, na."

Side Note: Possessivpronomen - meistens nicht notwendig.