Mein Vater ist in der Zeit verlorengegangen. Weil er nicht weiß, was gestern, heute, morgen bedeutet, fragt er immer wieder: Wann kommst du?
Räumlich ist er gut orientiert. Er geht in den Supermarkt und kauft Schinken, Marmelade, Milch.
Ich komme nach Feierabend zu ihm. Er steht im Vorzimmer, sieht mir entgegen, hilflose Freude im Gesicht und verfolgt meine Bewegungen.
Unter Zeitdruck habe ich es zum Supermarkt geschafft und bringe ihm die Dinge, um die er mich gebeten hat: Schinken, Marmelade, Milch.
In der Küche öffne ich seinen Kühlschrank.
„Du warst einkaufen!“ Ich knalle die Tasche auf den Boden, die Marmelade scheppert gegen die Milch. „Großartig!“
Sein Gesicht, blass geworden, schnellt auf mich zu, der verschwommene Blick verschwunden. Schwarze Knopfaugen, die mich stechen. Feste, drohende Stimme: „Du brauchst mich nicht anzufahren!“
Ich zucke zusammen, das Blut schießt in meine Wangen.
Vierzig Jahre zuvor. Dasselbe Vorzimmer, dieselben Personen.
Vater springt auf: „Du gehst nicht mehr nach draußen!“ Schwarze Knopfaugen im weißen Gesicht.
„Scheiße, Scheiße!“ Ich knalle ein Taschentuch auf den Boden.
Er rennt auf mich zu, die Ohrfeige trifft mich auf der linken Gesichtshälfte.
Vierzig Jahre später. Ich atme die Erinnerung weg.
Sein Blick ist wieder verschwommen. Er folgt mir ins Wohnzimmer. „Musst du schon wieder fort?“
Ich bleibe und versuche, ihm den Begriff Morgen zu erklären.
review von: Angela Lehner
Ein erwachsenes Kind kümmert sich um seinen dement werdenden Vater.
Im ersten Textabschnitt scheint die Wut des Kindes im Spannungsfeld zwischen schlechten Gewissen und dem (scheinbar unerlaubten) Genervtsein über den Pflegeaufwand zu entstehen.
Ab etwa der Mitte wird eine Erinnerung aufgerufen und ein Vorwurf gegen den Vater steht im Raum. Ab diesem Moment gerät das Pacing des Textes in Schieflage. Wird zu Beginn noch langsam/genau erzählt, kommt nun (zu) viel Information ins Spiel. Der Text ist nicht mehr wie eingangs durch genaue Beschreibungen erlebbar (Grundvoraussetzung, um Wut beim lesen zu fühlen), sondern liest sich eher wie ein Abstract einer Kurzgeschichte.
Zwei Vorschläge, wie du ab hier weitermachen kannst:
1.) Schreibe die Kurzgeschichte und reiche hier das nächste Mal einen die Wut betreffenden Abschnitt aus ihr ein.
2.) Bleibe beim langsamen Erzählen des Beginns und versuche diese unerlaubten Gefühle der Wut ganz nah zu erzählen. Wie fühlt sich eine Wut an, die zwischen widersprüchlichen Empfindungen aufflammt? Welche negativen Gefühle und Gedanken gesteht sich eine pflegende Person über einen nahen Angehörigen zu?
Karin Leroch
sagt
30.09.2024 15:46
Danke für den Review! Ich arbeite um ... :-)
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