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café gerstl

beitrag von: magnavirtus

universum indifferens

allen ist alles bekannt
aber sind auch alle allem bekannt?

neulich war ich auswärts
und keiner hat mich erkannt

dabei warn überall spiegel
heute bildschirme genannt

jetzt wußt ich nicht mehr
hab ich mich je gekannt?

ich trug etwas fremdes nach haus
und gab's dort selbst aus der hand

jetzt steht's am fenster
und schaut raus aufs land

und ich hör wie es sagt
und fragt unverwandt:

allen ist alles bekannt
aber sind auch alle allem bekannt?
    

bäckerei café felzl, wien


review von: judith nika pfeifer

hallo magnavirtus - - „aber sind auch alle allem bekannt?“ merci für das gedicht, das für mich in richtung gesamte weltweisheit, weltformel geht und erstmal eine große weite aufflappt. fühle mich dann bei „dabei warn überall spiegel / heute bildschirme genannt“ in eine andere richtung gekippt. das bild der „spiegel als bildschirme“ find ich schön, das „heute“ hat allerdings den effekt, dass es zugleich ein „gestern“ oder „damals“ hineinbringt, die position einer älteren weisen person, zudem einen melancholischen, potentiell belehrenden grundton, bei dem ich nicht sicher bin, ob der gewollt ist? die spiegel, die „heute bildschirme genannt“ werden, könnten ja auch so gelesen werden, dass da jem davon ausgeht, das gegenüber wisse nicht, worüber man spreche. dabei scheint es mir doch mehr um das bild zu gehen? famos find ich das spiel mit den verschiedenen ICHS, das ICH, das zuerst weit und unfixiert, dann auf ein konkreteres ICH reduziert und mit einem zuhause verbunden wird, um erst recht hinterfragt zu werden – „jetzt wußt ich nicht mehr / hab ich mich je gekannt?“ so eine mögliche lesart „ich trug etwas fremdes nach haus / und gab's dort selbst aus der hand“. herzlich, nika

ps. stolpere in gedichten über oft benutzte wörter wie „heute“, „jetzt“ und „aber“, es sei denn sie haben eine wichtige funktion. jörg zemmler setzt zum beispiel das „aber“ in seinen texten grandios ein. wenn ich mich selbst dabei ertappe, streiche ich sie weg oder versuche andere möglichkeiten zu finden und wenn möglich „und“ nicht an den anfang der zeile zu setzen.
Andrea Nagy sagt
24.04.2018 16:22
hallo, judith nika pfeifer, und wiederum lieben dank fürs lesen und kommentieren. überraschend finde ich die lesart des "heute". heute + bildschirm = belehrend? von mir so nicht intendiert. die beiden verse (dabei warn überall spiegel / heute bildschirme genannt) sollten lediglich den für das gedicht zentralen vergleich eines (taschen-)computerbildschirms mit einem spiegel (siehe charlie brookers "black mirror") einführen: immer schon haben wir uns selbst bespiegelt, nur tun wir es in der heutigen (!) digitalisierten welt ungleich effizienter ...
herzlich a.n.