beitrag von: bitter
da lass ich sie sitzen
kommt eine zeile geflogen
aus der Kühllade hinter der Schank
sie tuschelt mit der Espressomaschine
setzt sich auf das weiche Ei am Nachbartisch
nur kurz hockt sie dort, bevor der Löffel sie erwischt
dann verschiebt sie eine Schachfigur am Fenstertisch
sie fliegt durch den Raum und lauscht dem Rascheln
von Zeitungsseite zu Zeitungsseite, das mag sie so gern
sie flattert mit den winzigen Flügeln aus Papier
kreist um das Loch im Billiardtisch, dass sie bloß nicht reinfällt
flitzt an der Schank vorbei, hat wohl keinen Hunger, keinen Durst
kreist dreimal um den leeren Garderobenständer, dem tut das sicher gut
und landet dann ganz sanft
nicht auf dem Tisch, wo der Mann mit den drei dicken Büchern sitzt
sondern neben dem Wasserglas von meinem Melangè
da lass ich sie sitzen
rupf ihr nicht die Flügel aus
stell ihr keine Fragen
ich richte ihr ein Nest in meinem Heft
da hat sie’s weich und warm
und kann gut brüten
review von: judith nika pfeifer
ha wohin die zeilen überall fliegen – fein, dieser zeile/diesen zeilen zu folgen – „da lass ich sie sitzen“ lässt ja zunächst alles offen und eigentlich ganz andres vermuten – bis sie, die zeile „neben dem wasserglas vor meiner melange“ zu sitzen kommt. im extra eingerichteten nest zum brüten
liefert ein weich-warmes ende/happy end im vergleich zum flattrig-kühlen zugig-flugig anmutenden beginn – wobei das ei ist weich & die zeile pumuckelt durch die kaffeehaus atmo. eine ganz eigene melange, die sich sowohl zugig wie wohlig gut abbildet. may i ask in welchem cafe wir uns hier befinden? herzlich nika