beitrag von: bitter
das Kaffeehaus ist kein Friedhof
allen ist alles bekannt
wie die Löffel auf dem Silbertablett klirren
wie die Zeitungshalter in einer Reihe liegen
wie die schwarze Fliege um den weißen Kragen des Kellnerhemdes gebunden ist
wie die Adern der Marmorsteinplatte fließen
wie der Stoff der Polsterung vergilbt
wie die Billiardkugeln aneinander klacken
wie der Schaum auf dem Kaffee zerfällt
wie die Mehlspeisen aus der Vitrine grinsen
wie die Stille klar über den leeren Tischen schwebt
wie der Parkettboden unter den Kellnerschuhen knirscht
wie die Münzen in die Lederbörse rieseln
wie der Flaschenöffner die Kapsel abhebt
wie das Lachen auf der Schank liegenbleibt
wie die Lichtkugeln an der Decke verstauben
wie die Zeiger der Uhr sich von Zeit zu Zeit bewegen
wie Sonne und Wind draußen bleiben
wie Grüße kommen und gehen und bleiben und ausbleiben
wie man sich verliert in der weichen Koje
wie man sich verirrt im Tapetenmuster
wie man sich wiederfindet in den großen Spiegeln an der Wand
allen ist alles bekannt
das Kaffeehaus ist kein Friedhof
review von: judith nika pfeifer
was für eine poetische standortverbindung: die ortswahl – das kaffeehaus und der friedhof als spielstätten in der gerstl klasse. kommt sehr reizvoll, sehr wienerisch auch ironisch (& entspannt in allem, was mit weltuntergang verbunden ist) daher. famos wie hier zwei orte, wie elementares (das leben der tod) aufeinandertreffen. find den text sehr berührend, sehr sinnlich, wunderschön!