beitrag von: michael.beisteiner
geflatter
kommt eine zeile geflogen
flattert wort
für wort
durch
den staubigen saal
sie erzählt mir
von zwei drei tropfen blut
in meinem espresso
erzählt mir von
schwarzen winden
einsamkeit
von lichtkegeln und
einer jagd auf
die leichtigkeit
review von: judith nika pfeifer
was für ein traurig-melancholisch-bedrückendes szenario, das mich ein bisschen ratlos zurücklässt. auch wenn der titel "geflatter" ankündigt, bleiben bei mir viele fragen offen.. warum ist der saal staubig, um was für eine art saal handelt es sich? und warum ein saal? was hat es mit den zwei drei tropfen blut auf sich? und was weiß die zeile, was sie nicht preisgeben mag?
anregung: vlt der zeile, die dahergeflogen kommt, mehr raum geben, sie weiter erzählen lassen. und etwas konkreter werden. gern auch mit den leser*innen spielen, sie wollen dem mysterium ja auf den grund gehen, um dann erlöst zu werden. oder sie auch im dunkeln belassen. gerade wenn mit lichtkegeln jagd auf die leichtigkeit gemacht wird, was für ein bild!
ps. bei den "schwarzen winden" hatte ich übrigens zuerst an segelbootwinden gedacht. generell als tipp aus meiner schreibpraxis: ich bin bei adjektiven immer extrem vorsichtig. versuche sie zu vermeiden oder das, was sie ausdrücken sollen, zu umschreiben. ich würde hier versuchen, den „staubigen saal“ („show don‘t tell“) anderswie darzustellen. auch wäre es einen versuch wert, die „schwarzen winde“ detaillierter und sinnlicher zu beschreiben, wie fühlen sie sich an, was machen sie und wozu? ich denke, das würde das gedicht unglaublich bereichern. herzlich, nika
ich kann deine anregungen sehr gut nachvollziehen. ich gerate beim gedichteschreiben (bei prosa ists was anderes) immer wieder in diesen konflikt: ich sollte, vielleicht, dem leser mehr preisgeben, will es aber nicht. bewusst berühre ich die aufgeschriebenen bilder nur ganz sachte an ihrer oberfläche, ihre tiefe halten sie für den leser bereit. oder aber es handelt sich um eine täuschung, tiefe scheint da, ist es aber tatsächlich nicht. hier stehen sich, finde ich, zwei uralte rivalinnen gegenüber: aufklärung und mysterium. (wobei ja immer die frage bleibt, ob sie wirklich trennbar sind, ob sie tatsächlich in rivalität zueinanderstehen, oder, ob wir das nur annehmen?) oft leuchtet mir das geheimnisvolle klarer ein, als das ausformulierte.
staubiger saal kommt daher, dass ich das ganze projekt unter dem thema des kaffeehauses sehe. ein typisches wiener kaffeehaus findet oft in einem saal statt, und er ist oft staubig und sonnendurchflutet. das war mein bild, und hier könnte ich jedenfalls präziser sein.
ich folge beim dichten gerne impulsen, die ungeprüft übernommen werden können, das ist eine eigene lust. das muss selbstverständlich nicht für jedes gedicht gelten, bei diesem hier aber war es beabsichtigt.
die schwarzen winden auf einem segelgeisterschiff zu verorten, halte ich in diesem zusammenhang für eine tolle assoziation. die einsamkeit als schiff, es wird gekurbelt an schwarzen winden, entkommen?, man zwickt sich ein dabei, zwei, drei tropfen blut in der hitzigen dunkelheit, die flinken lichtkegel von taschenlampen, auf der jagd nach auswegen, nach anderen schiffen, rundherum nichts als nacht und schwarzes wasser …
das gedicht streift eine emotion in rohfassung, eine emotion, der ich nicht voll begegnen möchte, weil ich erahne, aufgrund von erfahrung vielleicht, dass sie mich in meinem, zuweilen zarten, selbstwert erschlägt. da öffnet sich auch das spannungsfeld, von dem das gedicht erzählt: kann, darf, soll, muss ich einer emotion ausweichen? und ist nicht gerade dieser versuch des abwendens verantwortlich für meine bedrückung? jage und verjage ich die leichtigkeit letztlich selbst, indem ich voller angst den emotionen davonrenne? (ich gilt hier wahrscheinlich nicht nur für mich.)
diese zeilen umreißen nur einen augenblick an gedanken, und welcher augenblick ist schon ausgereift? vielleicht sollte ich sie aber auch ahnungen nennen …
lieben gruß, michael