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café gerstl

beitrag von: Teodor

Absehbar

allen ist alles bekannt
Allen ist alles bekannt
Nichts hat noch Wert und Bestand
Und Dummheit scheint inflationär
Geht auch mit Gewalt gern einher
Gemeinschaftlich stolz Hand in Hand
Allen ist alles bekannt

Allen ist alles bekannt
Der Kopf, der muss durch die Wand
Ein jeder hat recht, gibt nicht nach
Es liegt die Vernunft häufig brach
Nicht anders als wie der Verstand
Allen ist alles bekannt

Allen ist alles bekannt
Es wächst sich zum Flächenbrand
Und keiner zeigt Einsicht und Mut
Geschürt wird die lodernde Glut
Die Menschlichkeit entrinnt wie Sand
Allen ist alles bekannt

Allen ist alles bekannt
Und Leiden bleibt unbenannt
Der Schmerz brennt sich gnadenlos Bahn
Das Werk ist vollendet, getan
Die Hoffnung wie Zunder verbrannt
Alles war allen bekannt

    

review von: augusta laar

hier ein politisches gedicht, das in harmloser verkleidung daherkommt, wie ein erzähl- und volks- reim-gedicht, aber das es in sich hat, juckt und kratzt und ausschert. formal gibt es vier strophen á sechs zeilen, die letzte zeile wiederholt jeweils den titel: alles ist allen bekannt, wie ein mantra. die letzte zeile der letzten strophe abgewandelt in: alles war allen bekannt. hier fällt mir brecht/weil ein, mit den lehrstücken und lehrgedichten und moritaten, und den großartigen texten der dreigroschenoper. dieses gedicht schließt auch an die antisemitismus debatte an, die aktuell endlich geführt wird, an die kriege und kriegsdrohungen in der welt, die statuskämpfe im eigenen land. aber auch das resultat wird benannt, die menschlichkeit bleibt auf der strecke, "der schmerz brennt sich gnadenlos bahn". eine zustandsbeschreibung des status quo. das gedicht spricht auch von der konsequenz der kriegstreiberei, der verbrannten hoffnung. es lässt uns nachdenken und nachfühlen über unsere jüngste geschichte. wie war das noch mal mit adolf h. welche ziele hatte er eigentlich, wem gab er welche hoffnung? und was haben wir, unsere eltern und großeltern, unsere politiker, industriellen, kirchenmänner , künstler und einfache leute dagegen getan? wußten wirklich viele nichts von auschwitz? hier ein tipp dazu: "hitlers volksstaat", das buch des historikers götz aly, da bleibt einem dann nur noch wenig verborgen und wir können mit dem gedicht abschließen: alles war allen bekannt. abschließend ist zu sagen: die gedichte werden immer besser, aber leider ist die klasse ab morgen vorbei.
Claudia Karner sagt
16.05.2018 12:36
Ein großartiges Gedicht, lieber Teo!
Äußerst anregend finde ich auch die Interpretation von Augusta Laar.
Volker Teodorczyk sagt
16.05.2018 17:38
Danke für die Zustimmung.
Äußerst anregende Interpretation. Stimmt.
ich hätte es so nicht rüberbringen können.
Ich freue mich sehr.