advenire

advenire - vom Kommen und Gehen, Folge: 9

Herr Corbinian reibt sich die Hände: langsam, fast zärtlich, routiniert.
Erst in zweiter Linie ist Herr Corbinian Chefinspektor der Stadt Wien. In erster Linie ist Herr Corbinian Herr Corbinian.
Sein Händereiben ist dem sorgsamen Auftragen des Desinfektionsmittels geschuldet.
Gleichzeitig könnte ein unbeteiligter Beobachter nicht zu Unrecht einen Ausdruck der Freude darin vermuten. 
An schlechten Tagen desinfiziert der Chefinspektor sich zehnmal am Tag die Hände, an guten an die fünfzigmal. Dieser Sicherheitsvorkehrung hatte Herr Corbinian bereits vor dem Corona-Virus getroffen. Er hatte sie getroffen bevor sein Bart weiß war. Er hatte sie getroffen als er noch von einem Bart träumte, als die einzigen Falten, die an seinen Handinnenflächen waren.
Herr Corbinian hört auf mit dem Händereiben.
Er atmet aus, wie das Raucher tuen, die lange auf eine Zigarette verzichten mussten und dann meist in der Kälte die Erlösung finden. 
fffffffff das ist das Aum des Westens, der Suchterkrankten und Zwangsneurotiker - fffffffff ist
ein langer Luftstrom aus dem Mund, der alles Unheil dieser Welt ganz kurz wie eine Kerze ausbläst. 
Herr Corbinian grinst verschmitzt. 
Dreißigtausend Euro, denkt er. Dreißigtausend Euro in nicht einmal einer halben Stunde haben seine Leute durch Bußgelder an einem Platz irgendwo in der Nähe des Westbahnhofs eingenommen.
Kein Mensch hatte sich an den Mindestabstand gehalten. Kein Mensch hatte heute an den Virus gedacht und das alles nur, weil ein selbsternannter Dichtercowboy seine Verse zum Besten gab. Einzig den Übeltäter hatten sie nicht erwischen können.
Dichtercowboy, sagte Herr Corbinian leise.