sie sind hier: startseite / alle beiträge / advenire - vom Kommen und Gehen, Folge: 12

advenire

advenire - vom Kommen und Gehen, Folge: 12

beitrag von: johannarosenleitner
Shiro nimmt den Kamm, schraubt von den beiden ersten Essstäbchen die Kappe ab und zieht zwei lange Nadeln heraus. Aus dem linken Eck des Aquariums fischt sie ein Fläschchen. Sie schraubt es auf, taucht jede Nadel hinein, verschließt es wieder und steckt das Fläschchen in ihren Seidengürtel direkt neben die beiden lila Scheine. Dann stößt sie die Tür des Gold Dragon auf, geht auf die Männer zu und jagt den beiden mit der Leichtigkeit eines fliegenden Pfeils die Nadeln in den Hals. „Wie bin ich nur zur Mörderin geworden?“ fragt sie sich mit einem Hauch von Sentimentalität, als die Männer krampfend zu Boden sinken. „Vielleicht haben sie es ja verdient?“ zischt sie Richtung Boden und eilt die Porzellangasse hinunter. Irgendwo da gibt es ein Theater, sie weiß es. Schon oft ist sie daran vorbeigefahren, meist mit dem Taxi, meist eine fettige Hand auf ihrem silbrigen Oberschenkel. Einmal, das hat sie sich geschworen, wird sie dort auf der Bühne stehen. In einem richtigen Theater mit Licht und Vorhang. Sie träumt davon sich einmal verbeugen zu dürfen, wie sie es als Kind in Japan gelernt hat. In Demut vor dem anderen und nicht, um... Ah! Da ist der Eingang. Shiro betritt das Gebäude. Herta erschrickt, weil die Frau so schön aussieht und doch auch grausam. Sie hat so ein fließendes Kleid an. Herta hat das schon mal auf Reisen gesehen, damals, als sie noch mit Georg, dem Drecksack, verheiratet war. Vor einem Jahr hat er sie mit ihrer Mindestpension sitzen lassen. Herta läuft auf die Frau zu: „Die Vorstellung hat schon angefangen. Sie dürfen da nicht rein.“ Die Asiatin legt Herta die Hand an die Gurgel und drückt leicht zu. Genau dort. Herta reißt die Augen auf. Sie versucht die Hand von ihrem Hals zu bekommen. Aber die Frau lässt sie erst los, als sie die Tür zum Saal geöffnet hat und schon halb darin verschwunden ist. Herta stolpert ins Freie und keucht Luft in ihre Lungen. Als sie die Hände von ihrem Hals nimmt, flattert direkt neben ihr ein lila Schein zu Boden.   

review von: teresa präauer

herrlich, liebe johannarosenleitner!