beitrag von: johanniko
breitensee impromptu
der ausgewogene ehrliche herr ilic führt bis heute die warenein- und -ausgänge seiner drogerie in makelloser handschrift. er kann es nicht gutheißen, dass fast alle gewerbeleute in seiner straße die mittagsruhe ausschlagen; das ziehe neue kundschaft an.
herr ilic lässt mit glockenschlag vierteleins der in hörweite gelegenen pfarre st. lorenz die eingangsrollade herunter. sieben minuten später hat er sich bereits die stoffserviette umgelegt und sitzt vor einer dampfenden mehlspeise. der geringe mittagschlaf führt ihn in keineswegs abgründige träume. mit glockenschlag vierteldrei öffnet er seine drogerie für den nachmittag, außer mittwochs.
am sonntag singt und herzt der ausgewogene ehrliche herr ilic mit seinem pelikan auf einem unbekannten hügel vor den toren der stadt. zu diesen wohldosierten ausflügen gönnt er sich ein sechzehnerblech, notabene auch in der fastenzeit.
review von: ondřej cikán
Also, dass Herr Ilic einen Pelikan hat, ist schön, weil man einen Pelikan nicht erwartet.
Dass Herr Ilic hingegen ein „Sechzehnerblech“ trinkt, mag vielleicht auch ein bisschen unerwartet sein, er könnte ja auch Kaffee trinken, das Wort hat aber einiges an poetischer Kraft eingebüßt, seitdem es auch in der Werbung verwendet wird.
Wenn Sie mehr Pelikane und sonstige Überraschungen in die Miniatur einbauen, wird sie interessanter.
Vorsicht jedenfalls darauf, was der Text transportiert! Herr Ilic (also dem Nachnamen nach ein Zuagraster) ist offenbar nicht nur ausgewogen und ehrlich, sondern auch recht faul. So könnten sich „autochthone“ (haha) Österreicher durch ihren Text bestätigt fühlen und sagen: „Ja, so sind die eben, die Tschuschen“. Haben Sie den Namen absichtlich gewählt? Soll er an Danilo Ilić erinnern? Oder an irgendeinen Fußballspieler?
Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, wie Sie Ihren Protagonisten interessanter machen könnten.
Und übrigens: Das Thema dieser Übung sind Archaismen und Sprachspiele. Artmann hat Texte des 16. und 17. Jahrhunderts gelesen, um sich für seinen eigenen Stil inspirieren zu lassen. Die damalige sehr freie oder eigentlich nicht existente Rechtschreibung bietet aus heutiger Sicht viele Doppeldeutigkeiten. Die damaligen Satzkonstruktionen lassen Gedankengänge zu, die mit dem heutigen Deutschen kaum möglich sind. Usf. Solche Archaismen stellen somit eine echte Bereicherung für die heutige Sprache dar!
Wenn man „wie“ Artmann schreiben möchte oder wenn man Artmann in manchen Belangen ausbauen, weiterentwickeln und vielleicht übertreffen will, hilft es nichts, nur Artmann zu lesen, vielmehr sollte man in ähnlichen Teichen fischen wie er. Man lese allein schon die Einleitung zum Simplicissimus (in irgendeiner uralten Ausgabe, die die Rechtschreibung nicht modernisiert, z.B. auf googlebooks), und man wird sehen, was für herrliche Sätze sich formulieren lassen. Von St. Nitglas gesegnete Fenster, Schunken an den Bäumen usf.
Alles Liebe, OC.
Texte werden ja nicht besser dadurch, dass der Autor sie erklärt. Trotzdem folgende Bemerkungen: Herr ilic ist für mich keineswegs faul, er ist ein altmodischer drogerist, führt ein getaktetes ("ausgewogenes") leben, gönnt sich kleine heimlichkeiten. Ich wollte darstellen, dass er einen Lebensstil pflegt, der sozusagen ausstirbt.
Zu den Namen: ich habe auf einem Klingelschild zufällig die Namen ilic und Pelikan gelesen, dazu wollte ich einen Text schreiben.