beitrag von: johanniko
quatraine im schnee
die loipen deiner verse leuchten lilienweisz
läszt uns von frembden zungen kosten strophenweis
schikkst diwanreime uns von osten : hier im eis
leuchten die gruenverschlosznen flachenposten lilienweisz
review von: ondřej cikán
"Review" bearbeitet am 6.6. 2021
Soso, Artmann also als Langläufer in lilienweißer Loipe, sehr schön!
Die Anspielungen auf Artmanns Werke sind wunderbar, wir haben sie in den Kommentaren besprochen. Danke dafür!
1) persische qvatrainen / ein kleiner divan
2) lilienweißer brief aus lincolnshire
3) flaschenposten
4) die grünverschloßne botschaft
Die „diwanreime“ sind super! Artmann hat mindestens die Anthologie osmanischer Dichtkunst von Hammer-Purgstall gelesen und verwendet.
Auch die Überleitung zur Flaschenpost ist sehr, sehr schön, der farbliche Kontrast grün–weiß ist sehr fein, weil die leuchtend grüne Flasche üppiges Gras evoziert – und doch lilienweiß im Schnee leuchtet.
Zum Versmaß:
Die ersten drei Verse halten Sie im sechshebigen Jambus. Nur der dritte Vers ist ein Alexandriner (Mittelzäsur) mit erzwungener zusätzlicher Zäsur am Satzende – und er steht also im Kontrast zu den ersten beiden Versen, wo diese Zäsur fehlt. Ist fein! Man beachte, wie anders ein sechshebiger Jambus wirkt, je nachdem, ob oder wo er eine Zäsur aufweist! Sowas kann, geschickt eingesetzt, für ziemliches Rambazamba sorgen.
In Ihrem vierten Vers bricht das Metrum einigermaßen zusammen. Das würde nicht stören, wenn nicht der Plural „flaschenposten“ zusätzlich irritierte.
Nach einer Diskussion in den Kommentaren haben wir das Gedicht so überarbeitet (bitte um Widerspruch, falls ich einen Fehler eingebaut habe):
die loipen deiner verse leuchten lilienweisz
du laeszt uns frembde zungen kosten strophenweis*
schikkst diwanreime uns von osten her : im eis**
bluehn gruenverschloszne flaschenposten lilienweisz***
Der Vollständigkeit halber: Für den letzten Vers habe ich ursprünglich das hier vorgeschlagen:
ist deine flaschenpost ergruent und leuchtet lilienweisz****
* (so ist klarer, wer das Subjekt ist)
** (mein Erstvorschlag war: „… aus dem osten : hier im eis“. Jetzt finde ich, dass es besser wäre meinen Alternativvorschlag zu verwenden, weil wir im vierten Vers kein „du" mehr haben. Das „uns“ verstärkt die Beziehung zu Artmann.).
*** (so bleiben die Anspielungen erhalten – und das Versmaß stimmt mit dem Rest des Gedichts überein. Sehr schöne Lösung von Ihnen.)
**** (Fehler meinerseits: Die Anspielungen gehen verloren. Der Vers ist siebenhebig wie in Ihrer ursprünglichen Fassung, das ist ok, weil so das „deine“ als „Fremdkörper“ stärker betont ist. Die Zäsur nach „ergruent“ ist stark und gliedert den verlängerten Vers in zwei Hälften. In einem siebenhebigen Jambus ist die Zäsur nach der vierten Hebung am wirkungsvollsten – wusste man schon in Byzanz. Somit wird auch die Wiederholung „und leuchtet lilienweisz“ stärker, weil sie nach einer Pause gesprochen wird.)
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Noch eine Anmerkung:
„Quatrain“ ist eigentlich maskulin. Oder verwendet Artmann „qvatraine“ im Singular?
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Noch was: Apropos Diwanreime: Es ist immer wieder lustig, auch frembde Versmaße zu studieren. So habe ich schon mal damit experimentiert, die persische Metrik fürs Deutsche zu adaptieren … Man müsste sich anschauen, welche Versmaße Artmann in den „persischen qvatrainen“ verwendet hat.
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Uns schließlich: Mit Ihrer Schreibung des „sz“ haben Sie offenbar – die Muse wollte es so – auch Friederike Mayröckers heutigen Todestag gewürdigt.
Danke für Ihren schönen Beitrag!
Bitte mehr!
Alles Liebe,
OC.
"blühn grünverschloszne flaschenposten lilienweisz"
Dann stimmt die Hebungszahl.
Liebe Grüße!