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geheimnachrichten an h.c. artmann

beitrag von: wdoubleyou

wos is da sin von dem gaunzn teu

wort sin schreim oda leicht hean carmen do woa ois drin ol
most hoit no ned da wein ka barok schreim wean hean ois liedschottn
schottnbastei fia like de kurzrockertn irn weu perhaps irn tuat se boid

a weana ir_rin wo ois relativpronomen da novak an schnei de zaun
orise oien cebter kube wutg ekkuosus abd yet wos is da sin von li
minalità linguistica e il vivere moderno attraverso il gioco dell'
jazyková liminalita a moderní život prostřednictvím mezihry

and gambling and the kind of implosion of liminality from liminal
to limnoid to limvoid bungy pumping and the quest for le sin in
contemporary otium aunan letztn saumstoch in dera tschellensch

review von: ondřej cikán

Also dieses carmen ist ja wirklich eine musikalische liedschottn-tschellensch, mit der ich naturgemäß an meine liminalità stoße. Danke, dass Sie es noch am letzten saumstoch gebracht haben!

Schön finde ich, dass Sie im italienisch-tschechisch-englischen Teil das Wort „Spiel“ jeweils mit unterschiedlicher Zusatzbedeutung wiederholen: gioco (Spiel), mezihry (Zwischenspiel), gambling „Glücksspiel“. Die „Liminalität“ – bestätigt durchs „limnoid“ – schafft eine super Verbindung von Sprache zu Ethnologie und Initiationsriten (Victor Turner). Witzig ist natürlich, dass der tschechische Teil (also der Teil, der in einer besonders „fremden“ Sprache verfasst ist, die man üblicherweise nicht in der Schule lernt) nicht nur für mich der verständlichste ist, sondern auch im Gegensatz zum Rest des Gedichts keine Sprachverzerrungen aufweist. Das Fremde muss man nicht verfremden, ist ja auch so schon frembd genung … Indem Sie ab Vers sechs dreimal etwas ähnliches auf unterschiedliche Weise „übersetzen“, zeigen Sie sowohl sprachliche Grenzen als auch eine ziemliche Grenzenlosigkeit unterschiedlicher Formulierungen auf – es gibt eben unendlich viele Möglichkeiten etwas ähnliches zu denken und zu sagen. Des is da sin von dem gaunzn teu.

Natürlich bleiben mir ein paar Sprachspiele im Verborgenen (dass „teu“ einfach „Teil“ bedeutet, hat sich mir z.B. erst durch „weu“ erschlossen), aber das macht den Reiz des Ganzen aus, weil man sorgfältig lesen muss – und bei Ihnen scheinen die Verfremdungen usf. nicht zufällig zu sein, sondern meistens irgendeiner Logik zu folgen (auch der „schnei de zaun“ – sehr hübsch!). 

So richtig schwimme ich freilich in Vers 5: „… oien cebter kube wutg ekkuosus abd …“. Irgendwie sehe ich darin ständig „wutgeküsster Abt“, vielleicht fällt mir ja in ein paar Tagen plötzlich ein, in welcher Zunge Sie da sprechen. Wenn es Irisch ist, trinke ich ein Bier auf Sie.

Bei den „irn“ finde ich sehr schön, dass das Wort „kurzrockerte irische Mönche“ impliziert, die die „Schottenbastei“ gegründet haben. Das scheint durchs „ir_rin“ bestätigt zu werden.

Schön ist für Sinn „le sin“ nach dem englischen Teil, da wird der Sinn zur Sünde im contemporary otium, mit französischem Anstrich, muss also gut sein.

Alles Liebe,
OC
Walter Aigner sagt
26.06.2021 16:22
Bradnsee do woa ois drin ol
most in-betwien w i e u bet
Walter Aigner sagt
26.06.2021 22:15
dånke lieber polyglotter OC!

wunderbar, wie Sie (meine) quellen finden wie eben auch im Husar am Münster Seite 11...
wenn sich we oda ana oda we_ana oder weana "irn weu perhaps irn tuat se boid" dann hat sich des schreiberlings rechte pråtzn beim blind abtippen der haundschrift bei eben dieser zeile um eine taste nach links! [=geheimnachricht an h.c. artmann] verschoben. die zeile wäre sonst ganz unspektakulär
prose poem center line with ellipsis and yet wos is da sin von li [+verborgene ellipse verborgen im liminal]
orise oien cebter kube wutg ekkuosus abd yet wos is da sin von li
das erzeugt für mich eine nette resonanz zu den ersten worten "wort sin schreim oda leicht [varschom]"
[ist mir erst aufgefallen, als es schon da stand. föla hoben vorraung hat ein anderer wiener poet stets betont und verboten, dass druckfehler korrigiert werden.]
vielleicht kommt ja morgen noch was mit aunklaung aus von denen husaren
ondřej cikán sagt
28.06.2021 03:04
Also, zum Husar am Münster, S. 11–12, habe ich keine Quellen gefunden – zu dem Text habe ich auch, ehrlich gesagt, keine gesucht, weil ich mit den Quellen der fremdsprachigen Zitate im übrigen Buch alle Hände zu tun hatte. Natürlich war mir klar, dass auch da etwas verborgen sein wird … Wissen Sie von Quellen zu S. 11? Würde mich sehr interessieren.
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Ok, ich sehe: Blind schreibend mit verschobener rechter Pratze wirds besser: "prose poem center line with ellipsis and" ist ein bisschen fad, gerade weil es auf Englisch ist – das Englische ist ja manchmal ein bisschen überstrapaziert. Witzig irreführend ist das "orise", das ich für "orisse" ("abrisse"), was ja zum vorangehenden schneidezahn passt. Und oien wirkt ziemlich Altgriechisch, "cebter" ist sowieso super, und über den "abd" habe ich schon geschrieben. Das ist alles schön, gut dass Sie die verschobenen Tasten gelassen haben. Dass nur die rechte Hand verschoben ist, erinnert auch an diverse Geheimschriften, zodiac usf. Ellipse und Enjambement sind freilich zwei paar Schuhe.
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Fehler haben sicher oft Vorrang, manchmal entsteht durch sie etwas Besonderes, Unerwartetes (die Fehler des Zodiac-killers haben auch das entziffern seiner briefe erschwert). Ich finde es für die Literatur halt besser, wenn die Fehler aktiv ("bewusst") gemacht werden, so wie es Váchal im "Blutigen Roman" praktiziert hat – bei einem Haufen absichtlicher Fehler kann man dann einen weiteren Haufen unabsichtlicher kaum vermeiden, und plötzlich sind dann auch die unabsichtlichen absichtlich, und man versucht ihre Geheimnachricht zu verstehen.
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Was meine "Korrekturen" der Setzfehler in den "Husaren" anbelangt: Würden alle ständig alles korrigieren, dann hätte ich die Neuausgabe vielleicht streng nach der Erstausgabe ediert (so ungefähr mache ich das meistens mit der tschechischen Dichtung, obwohl ich die späteren Ausgaben oder manchmal auch die Handschriften trotzdem berücksichtige, aber ich gehe halt von der Erstausgabe und der ursprünglichen Rechtschreibung aus – z.B. Březina, Hlaváček). Da aber die bisherigen Ausgaben der "Husaren" überhaupt nicht darauf geachtet haben, woher Artmann seine Zitate hatte und nur die Erstausgabe abgeschrieben haben, fand ich, dass es als Kontrastprogramm notwendig ist, Artmanns Quellen herauszufinden und sie sich anzuschauen – und bei der Gelegenheit fand ich halt z.B. heraus, dass in einer von Artmanns Quellenangaben beim Setzen eine arabische 11 zu einer römischen II. verlesen wurde und so ähnlich.
Soll man dann so einen Fehler im Text stehen lassen und im Kommentar erklären, dass das höchstwahrscheinlich ein Setzfehler ist? Soll man im Kommentar darauf hinweisen, dass die Akzente im griechischen Zitat falsch gesetzt sind? Ich fand es besser, diese Setzfehler im Text zu korrigieren – und die Korrektur im Anhang knapp zu dokumentieren. Falsche Akzente im Griechischen bieten ja keinen Mehrwert, sie verzerren den Sinn nicht und sind einfach nur ärgerlich und nicht allzu griechenfreundlich. (Ganz anders ist es mit Artmanns alternativer Rechtschreibung des Deutschen, die ist super und trägt zur Verfremdung bei!) Tatsächlich betreffen die meisten Fehler in den Husaren die Glossen – und ich habe den Verdacht, dass Artmann diese Glossen erst später in den Satz einfügen hat lassen, und dass sie nicht wirklich korrekturgelesen wurden. Beweisen kann ichs nicht, bin kein Artmann-Spezialist, sondern Altphilologe, aber vielleicht findet das einmal wer heraus. (Ein paar "Fehler" wie in Endungen des Provenzalischen und an einer Stelle im Lateinischen gehen hingegen wahrscheinlich auf Artmanns Kappe, aber was solls, errare humanumst – auch im Deutschen würde man ja "eine Haus" zu "ein Haus" korrigieren, wenn das irrige Geschlecht keinen ersichtlichen poetischen Grund hätte). Und nochmal: Jede noch so kleine Änderung habe ich im Apparat vermerkt, also ist auch der ursprüngliche Text im Buch gewahrt. Üblicherweise werden offensichtliche Fehler einfach stillschweigend korrigiert.
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Über ein weiteres Gedicht von Ihnen würde ich mich jedenfalls sehr freuen.

Alles Liebe, OC.