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geheimnachrichten an h.c. artmann

beitrag von: samya

chapn

heute. ja, heute ...
oder war's doch gestern?
nein. nein. morgen ist's.
ganz bestimmt.
so gegen mittag.
dort drüben beim brunnen.
da musst du stehen.
sitz ja nicht.
das wäre das schlimmste.
wirklich das allerschlimmste.
und rauch' nicht. mach' das bitte nicht.
dann geht er vorbei.
nur einmal und dann nie wieder.

review von: ondřej cikán

Oje, da hat jemand aber große Angst, dem Angebeteten zu begegnen, der wahrscheinlich Nichtraucher ist. Keine Sorge, es kommt ein anderer zum Brunnen. Nichtraucher gibts wie Sand am Meer – und bestimmt findet sich auch jemand, der sitzende Frauen akzeptiert.

Spaß beiseite. Vielleicht ließe sich die Panik vor der zufälligen Begegnung noch ein bisschen ausbauen, d.h. sie könnte phantasievollere Folgen haben: z.B. Angst vor einem Handstand oder sowas.

Alles Liebe,
OC

PS: CHAPN habe ich nicht entziffert: "Community Holistic Advanced Practice Nurses"?
samya hamieda lind sagt
28.06.2021 08:04
guten morgen oc
ein bisserl spass muss sein.
es geht nicht um angst.
es geht auch nicht um eine frau und ihrEn angebetetEn.
schon gar nicht geht's um panik.
es geht um den tod sein, der jetzt einmal an diesem Brunnen vorbei geht. da darf ja schon ein wenig aufregung sein und Vergesslichkeit. ;o)

'chapn' ist jiddisch und bedeutet soviel wie 'packen, schnappen'
nachzusehen in Wolkenbruch-Jiddisch-Glossar.pdf www.thomasmeyer.ch.
schönen tag
samya
ondřej cikán sagt
29.06.2021 04:25
Liebe Samya!

Witzig, ich dachte mir schon, dass "chapn" etwas wie "erfassen, verstehen" heißen soll, weil das auf Tschechisch "cháp-at" heißt (Stamm: cháp-) – das ist ein Frequentativ/Imperfektiv zu "chop-it" ("ergreifen, erfassen"). Nichtsdestotrotz: Es ist ratsam, den Lesern ein bisschen zu helfen, d.h. ihnen anzudeuten, in welcher Sprache der Titel sein soll. Entweder man macht den Titel zumindest zu einem Halbsatz auf Jiddisch oder man deutet irgendwo an (sei es im Gedicht oder sonstwo im möglichen Buch), dass sich der Text in einer jiddischen Sphäre bewegt, oder man schreibt den Titel in hebräischen Buchstaben o.ä.

Zum Gedicht selbst: Nach Ihrer Erklärung, dass das Gedicht den Tod beschreibt, wirkt es auf mich nun doch interessanter. Aber wie soll man die ersten drei Verse verstehen? Ist man gestern schon gestorben? Oder doch heute? Ok, das mag durchgehen, aber warum muss man stehen, wenn man dem Tod begegnet? Und warum darf man nicht rauchen, zum Henker? Und wieso geht der Tod (erst morgen) nur "vorbei"? Warum am Brunnen? ("Am Brunnen vor dem Tore …")

All das, was Sie geschrieben haben, passt nicht so recht zum Tod, aber das macht nichts, im Gegenteil: Es ist immer interessant, etwas mit etwas "Unpassendem" zu beschreiben – nur Achtung! Es sollte in so einem Fall irgendwann ganz klar sein, was als Hauptthema gemeint ist. Und das ist es in Ihrem Gedicht m.E. nicht. Vielleicht finden Sie eine Möglichkeit, den Tod auf eine dezente Weise anzudeuten? Er muss nicht gleich mit einer Sense daherkommen, aber irgendeine Andeutung wär fein.

Und noch eine Kleinigkeit: Ich habe mich auch dadurch in die Irre führen lassen, dass ich "chapn" auf Tschechisch gelesen habe, und nicht auf Jiddisch. Somit war der Tod für mich weiblich. Natürlich ist auf Hebräisch und Deutsch der Tod männlich (מָוֶת). Aber Sie könnten ein bisschen mithelfen, indem Sie durch kleine Signale verstärken, in welcher Welt sich der Leser orientieren soll.

Und schließlich: Phrasen vermeiden! Jeder Vers, der sich abgegriffen/altbekannt anfühlt, ist per se uninteressant und muss von den umliegenden Versen gerettet werden. Und noch was: Sie brauchen keine Apostrophe bei Imperativen.

Alles Liebe OC.
samya hamieda lind sagt
28.06.2021 08:48
das 'sein' nach dem tod in zeile sechs gehört weg.
Andrea Nagy sagt
28.06.2021 10:35
!אַ שטאַרק ליד
ondřej cikán sagt
29.06.2021 04:26
אזוי אזוי
samya hamieda lind sagt
29.06.2021 21:18
lieber oc.
danke für das review.
das mir gefällt und das ich als spannend erlebe.

zu 'chapn' gäbe es noch den tiroler input a 'kappn' für mütze.
interessant und wunderbar, ihre tschechischen erklärungen kennenzulernen.

ich bin im schreiben von meinem statusquo ausgegangen. von meinem geheimnis.
der tod ist darin (m)ein jüdischer freund. der tipp mit den jüdischen buchstaben gefällt mir sehr.

nein. kein 'am brunnen vor dem tore.' und auch kein lindenbaum.
ein normaler brunnen mitten in einem park, der mal ein friedhof war: der kannenfeldpark in basel. beim brunnen gilt rauchverbot, weil dort auch der kinderspielplatz ist.

das 'gestern. heute. morgen' im zusammenhang mit dem tod spielt auf die möglichkeit des begleiteten suizids in der schweiz an. dieser passiert im liegen. ich würde gern im stehen sterben. und nicht zu rauchen vor der einnahme des barbiturats wird empfohlen.

was passt schon zum tod?
das was wir schon seit immer kennen?
das kann ja auch mal ganz anders sein. das bild des todes nämlich.
ich arbeite am dezenten hinweis für den tod in diesem text.
der tod ist tot. es lebe die todin.

wäre toll, wenn sie die zu vermeidenden phrasen nennen könnten. i
ich will davor gerettet sein.

danke, dass ich die apostrophe bei imperativen nicht brauche. die erinnerung ist gut.

alles beste. samya