beitrag von: jhruebel
drama
der vorhang hebt sich und was sehen wir?
wir sehen einen lorbeerkranz mit stier
wir sehen einen stier mit lorbeerkranz
wir sehen ihn doch sehn wir ihn nicht ganz
wir sehen ihn von unten oder hinten
das ist hier nicht so leicht herauszufinden
wir sehen ihn von hinten und von unten
das haben wir jetzt endlich rausgefunden
wir sehen außerdem noch eine frau
die nämlich sehen wir hier ganz genau
wir sehen eine frau und auch ein messer
denn hier ist die beleuchtung deutlich besser
sie hebt das messer und es glänzt im licht
dann sehen wir es eine weile nicht
wir sehen jetzt nur eine menge blut
das auf die bühne läuft das sehn wir gut
das blut läuft dick und rot das sehen wir
es läuft sehr rot aus dem bekränzten stier
auf einen männerchor fällt nun das licht
doch was er spricht versteht man leider nicht
die männer sind nur unten weiß verhüllt
und manche tragen helm und speer und schild
bedauerlich dass keiner damit kämpft
und wenn sie schweigen wird das licht gedämpft
die frau geht zum altar und steht und fleht
nur schade dass man sie auch nicht versteht
es fällt der vorhang und es gibt applaus
manch einer drängt schon aus dem saal hinaus
der vorhang hebt sich alle bleiben stehen
jetzt sind sie alle noch einmal zu sehen:
die frau und auch die männer mit den speeren
der große saal beginnt nun sich zu leeren
der blutverschmierte stier darf sich verneigen
von draußen hört man jemand geigen
review von: ferdinand schmalz
Musste beim ersten Lesen an zwei Texte denken, die ich hier mal drope. Das eine ist Heinar Müllers „Bildbeschreibung“ das andere ist Felitas Hoppes „die Nibelungen“. In der Bildbeschreibung wir wie schon der Titel sagt ein Gemälde beschrieben, während es beschrieben wird hat man aber stetig das Gefühl die Szenerie des Bildes verändert sich. Bei Hoppe geht es ähnlich wie bei diesem Text um die Beschreibung von einem Bühnengeschehen bei den Nibelungenfestspielen in Worms, während sie die Szenen auf der Bühne beschreibt hat man das Gefühl die Perspektive verschiebt sich immer ein klein wenig.
Mich interessiert das kollektivierende „wir sehen…“ weil es natürlich eine Unterstellung ist, da ja das sehen eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Trotzdem kann man sich natürlich fragen wieviel Anteil das Kollektiv am Sehen hat. In wiefern ist Sehen ein Prozess, der die Optischen Eindrücke, die auf uns als Individuum einbrasseln, durch Rückgriff auf gesellschaftlich antrainierte Sehgewohnheiten einordenbar macht.
Wäre es ein Gewinn für den Text, wenn über das "wir" reflektiert würde?
Ist nicht alles "wir"-Sprechen kollektivierend und ein Unterstellung? Selbst auf der Demo ist ja dieses "wir " irgendwie oft nicht stimmig, oder?